Schnittmuster
Erscheinung gerechnet, professorinnenmäÃig eben. Grace Lam musste ihn enttäuschen. Sie war jung, schätzungsweise dreiÃig, höchstens einen Meter fünfundfünfzig groà und wog bestimmt an die neunzig Kilo. Ihr Körper und ihr Gesicht waren rund und kugelig. Sie hatte kleine, harte Augen und schmale, zusammengekniffene Lippen, die ihr ein missmutiges Aussehen gaben. SchweiÃperlen schimmerten in ihrem flaumigen Haaransatz, als sie zu ihnen gelaufen kam.
Nach einem prüfenden Blick zu Grace raunte der Ermittler seiner Kollegin zu: »Ihr könntet glatt als Schwestern durchgehen.«
»Du bist und bleibst ein chauvinistischer Mistkerl«, gab Felicia unbeeindruckt zurück.
Striker grinste bloà müde und schlürfte seinen Americano.
Nachdem Grace sich einen Kaffee geholt hatte â irgendwas ekelhaft karamellig SüÃes wie Felicia, das merkte Striker am Geruch â, setzte sie sich in einen Sessel den beiden Detectives gegenüber. Sie schob sich ihren mitgebrachten schwarzsilbernen ToughBook-Lap auf die Knie und stellte ihre dicke braune Aktentasche an das Tischbein.
»Wie sind Sie auf mich gekommen?«, fragte sie. »Zumal ich buchstäblich auf dem Sprung bin.«
»Erst mal danke für den Termin«, meinte Striker. »Umso mehr, da Sie in Zeitdruck sind.« Als Grace meinte, das sei kein Problem, fuhr er fort. »Meathead â ich meine Hans Jager von der Abteilung Internationale Bandenkriminalität â hat uns auf Sie gebracht. Er meinte, Sie seien die ideale Ansprechpartnerin für uns.«
Während er erzählte, stellte sich ein seltsamer Ausdruck in Graces Zügen ein, bemerkte Striker. Ob Meathead sie ebenfalls blöd angemacht hatte? Die Ãrmste.
»Worum geht es?«, fragte sie.
»Um das Massaker an der St. Patrickâs High.«
Bei der Erwähnung der Amoktat verdunkelte sich ihre Miene.
»Welche Bande?«, wollte sie wissen.
»Die Shadow Dragons«, sagte Felicia.
Striker legte ein paar Fotos von WeiÃmaskes Leiche auf den Tisch, die die Kollegen von der Spurensicherung gemacht hatten. »Sehen Sie hier das Stück Tattoo am Nackenansatz«, erklärte er. »AuÃerdem trägt er eine Nummer, die 13. Schlecht gemacht. Dilettantische Arbeit.«
Grace schaute sich die Bilder an, dann sagte sie: »Bei dem Teiltattoo handelt es sich um das Schwanzende eines Drachens.«
»Drachen?«, fragte Striker.
Felicia beugte sich vor. »Sind Sie sich da sicher?«
Grace deutete auf eines der Fotos. »Wegen der Farbe und der Körperregion. Rot und Gold sind die Farben des Wohlstands und des Glücks; die linke Seite ist die unheilvolle Seite, und der Drache blickt über die Schulter â ein spiritueller Beschützer vor möglichen Feinden.«
»Klingt für mich wie purer Aberglaube«, sagte Striker.
»Ist es auch.« Grace nickte. »Erstaunt mich ohnehin, dass Sie so eine Tätowierung entdeckt haben â es ist eine ziemlich alte Tradition. Neue Mitglieder verzichten darauf. In der Tat lassen sich die Banden heutzutage gar keine Tattoos mehr stechen â weil sie damit viel leichter zu identifizieren wären.«
Felicia warf ein: »Ich hab vorher noch nie was von einer Gang mit diesem Namen gehört.«
»Weil die Informationen irreführend sind.« Grace öffnete ihre Aktentasche und wühlte sich durch einen Haufen Schnellhefter. Nach einigem Suchen fand sie den richtigen, schlug ihn auf und legte ihn flach auf den Tisch.
Das Erste, was Striker ins Auge fiel, war eine riesige Vier, daneben war das Bild einer roten dreieckigen Flagge.
Grace registrierte seine fragende Miene und erklärte: »Die Flagge ist dreieckig, sie repräsentiert die drei elementaren Kräfte des Universums: Himmel, Erde und Mensch.«
»Diesen Wimpel hab ich schon mal irgendwo gesehen«, bekannte Striker, »ich wusste aber nicht, dass er für die Shadow Dragons steht.«
»Tut er auch nicht.«
Striker streifte Felicia mit einem Blick, bemerkte ihr verwirrtes Gesicht. Ihm ging es nicht viel anders.
Grace fuhr fort: »Die Shadow Dragons sind nichts gemessen am groÃen Ganzen; sie sind der Schwanz der Bestie. Ich würde sie folgendermaÃen definieren â oder auch kategorisieren: Es handelt sich um eine Babygang, unbeleckte Youngsters, die die Drecksarbeit für ihre Chefs in Asien erledigen, weil sie hoffen, sich irgendwann als
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