Schnittstellen
dazu reicht der Platz. Aber das Wasser des Mittelmeers bietet keine Abkühlung. Es ist, als gehe man über eine zu hoch gestellte Fußbodenheizung in eine ziemlich laue Badewanne. Wir sind wohl doch eher nordische Typen. Der Atlantik, die Nordsee, die Ostsee, das sind Gewässer, in denen wir es gut aushalten, na ja, Karl mag es auch ein wenig wärmer, aber diese hellblaue Badewanne fand selbst er nicht wirklich erfrischend. Wir bestaunen auch die Touristenattraktionen, zum Beispiel die Flugschau mit ihren Manövern und Figuren, in der am Schluss die italienische Flagge am Himmel erscheint, oder mischen uns unter die Nachtschwärmer, denn bei den Temperaturen lustwandelt man bis in den frühen Morgen hinein durch die Fußgängerzonen und über die Promenade des Ortes. Viel früher sollte man nicht ins Bett gehen, denn die Musik der Discos hallt bis zum Morgen durch den Ort. Schlecht für Karl und mich, wir sind Tagmenschen und Naturliebhaber, aber wir haben uns nun einmal nicht ausreichend informiert. Dennoch gibt es jede Menge heitere und erinnerungswürdige Erlebnisse. Am Strand retten wir einen Salamander vor ein paar Jugendlichen, die ihn erschrecken, bis der Schwanz abfällt. Meike und ich sind stolz auf uns, dass wir dem armen Tier die Flucht ermöglichen, und wir schimpfen die Jungen aus. Mindestens sechzehn sind sie und finden so etwas noch immer spaßig … Auch unser Ausflug nach Venedig ist ein Erfolg. Die Überfahrt mit dem kleinen Motorschiff, die Gassen, die Kanäle, die vielen Plätze und Orte, die wir bisher nur aus Filmen und Büchern kannten. An einer der unzähligen Brücken winkt uns ein Gondoliere zu, der zwar nicht die große Tour fährt, aber dafür wesentlich preisgünstiger ist als die vom Canal Grande. Wir lassen uns überreden. Ich fühle mich entspannt wie schon lange nicht mehr. Meikes langes schwarzes Haar weht im Wind und sie trägt den schwarzen Rock und das bunte Top, das ihr so gut steht. Sie selbst findet diese Dinge nicht schön an sich. Sie findet sich zu groß und zu dick. Auch darum ist Italien nichts für uns, da sind die meisten Menschen eben kleiner als wir. Solche Anmerkungen fallen aber eher beiläufig. Meike beklagt sich nicht. Sie nimmt alles auf, wie es ist, schön, interessant, stressig, lästig, neu … ohne groß Kommentare abzugeben. Und in einem sind wir uns einig: Touristen, die in Strandkleidung und Badelatschen zu den Mahlzeiten erscheinen, gehen gar nicht.
Meike
Musik. Musik. Ich liebe lange Autofahrten. Wir fahren nach Italien, und es gibt nichts Besseres, als im Auto zu sitzen, die Musik zu hören, die man mag und irgendwelchen Gedanken nachzuhängen, die nichts oder nur wenig mit der Realität zu tun haben. Ich mag es, wenn die Landschaft am Fenster vorbeizieht. Einfach nach draußen schauen und träumen. Ich bin froh, aus der gewohnten Umgebung rauszukommen, an einen anderen Ort, die Sonne scheint, meine Eltern sind gut gelaunt. Wir sind nur zu dritt. Das ist besser, besser zu dritt als zu viert oder zu zweit. Zu dritt haben meine Eltern einander und nerven mich nicht, wenn ich meine Ruhe will. Ist man zu zweit unterwegs, muss man den anderen ständig unterhalten. Wenn meine Eltern zusammen sind, bin ich allein, das ist gut so.
Ich freue mich, dass wir nach Italien fahren. Ich habe vor Kurzem Der Herr der Diebe gelesen und möchte das Kino suchen, in dem sich Scipio und seine Bande immer treffen. Ich wäre auch gern ein Dieb. Irgendwo, in einer großen Stadt, wo mich niemand kennt. Über Häuserdächer springen, über Zäune und Mauern klettern, in fremde Wohnungen einsteigen und Leute ausrauben, ohne bemerkt zu werden. Ich stehle nicht. Ich würde es auch nicht tun, um mich auf Kosten anderer zu bereichern. Ich will nur kämpfen, um zu überleben. Ich will Einzelgänger, Draufgänger sein, mich frei und unabhängig fühlen und auf dieses dumme System Gesellschaft verzichten.
In Italien ist es schön. Es ist nicht schön, dass ich mir nicht den Wintermantel überziehen kann, wenn ich mich nicht danach fühle, mich draußen zu zeigen, aber ansonsten ist es in Ordnung. Ich schwimme gern! Es ist herrlich im Wasser zu sein. Es ist eine ganz andere Art, sich fortzubewegen. Außerdem kann man im Wasser fast nackt sein und sich dennoch nicht so fühlen. Das ändert nichts daran, dass ich den Weg zum Wasser oder vom Wasser zurück zum Handtuch nicht leiden kann, aber ich komme darüber hinweg.
Ich mag den Sommer so, weil man spät in der Nacht rausgehen kann und
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