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Schnittstellen

Schnittstellen

Titel: Schnittstellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Abens
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es warm ist. Es ist dunkel, aber warm. Mit meinen Eltern bei Nacht durch die Straßen zu spazieren ist mal etwas anderes, ich fühle mich wohl dabei. Außerdem ist das Eis in Italien einfach das Beste. Ich dachte, das sei ein Gerücht, aber meine Güte, es ist wahr. Einfach göttlich!
    Meine Eltern suchen mit mir das Kino Stella aus dem Buch. Wir laufen schon die ganze Zeit durch die Gegend, diese kleinen Gassen in Venedig können einen echt wahnsinnig machen! Aber es ist lustig. Hin und her. Ein Zeitungsverkäufer lacht, weil wir mindestens viermal an seinem Büdchen vorbeirennen, ich mit dem Stadtplan in der Hand vornweg, meine Eltern dicht hinter mir. Endlich finden wir die Straße mit dem richtigen Namen. Das Kino gibt es nicht, wie schade. Aber so schlimm ist es auch wieder nicht, ich hatte ja wohl nicht erwartet, die Charaktere des Buches hier zu treffen. Auch wenn das schön gewesen wäre. Wie spannend es ist, durch die Stadt zu laufen und ein unbekanntes Ziel zu haben. Ich bin froh, mal wieder an etwas denken zu können, das nicht mit mir zu tun hat.
    Trotz der hohen Preise fahren wir Gondel. Es ist super! Ich finde, jeder sollte mit einer Gondel fahren, wenn er schon in Venedig ist, das gehört doch einfach dazu. Zum Abschluss der Fahrt muss meine Mutter es natürlich wieder vergeigen. Ich hasse diese ewige Fotoknipserei. Kann man nicht einfach einen Ausflug machen und dabei gut gelaunt sein, ohne dass dieser glorreiche Moment auf einem Bild festgehalten wird? Was will sie immer mit diesen Mistfotos? Zeigen, was für eine tolle Familie wir sind, dass wir so viel Spaß im Urlaub haben können? Immer dieses Zur-Schau-Stellen. Dazu kommt außerdem, dass ich scheiße aussehe. Da brauch ich nicht noch ein Foto von diesem doofen Gesicht, ich will mir diese bescheuerten Fotos einfach nicht ansehen müssen, macht sie das eigentlich absichtlich? Mir meine hässliche Visage vorhalten, damit ich mich mies fühle? Ich habe überhaupt keine Lust, für dieses dämliche Foto zu lächeln. Hübsch wird es sowieso nicht.
    Anja
    Das neue Schuljahr hat begonnen. Ich fühle mich aufgeräumt. Jeder von uns geht seinem Tagewerk nach, und das scheint mir erfrischend gegenüber den Streitereien, die im letzten Jahr häufig unser Familienleben bestimmten.
    Anna hat Marvin zum Essen eingeladen. In ihrer gemütlichen kleinen Wohnung richtet sie für ihn ein Essen ganz nach seinem Geschmack her. Ein paarmal haben die beiden telefoniert, um den Termin abzusprechen. Marvin telefoniert mit seinen Schwestern, nicht mit uns. Ein halbes Jahr ist er nun schon von uns weg. Zwischendurch war Karl mal bei ihm im Jugendheim und hat seinen Computer repariert, und vor wenigen Wochen hat Marvin sein Fahrrad bei uns abgeholt. Er hatte einen Freund mitgebracht, sodass wir nicht viel Persönliches sprechen konnten. Ich habe mich sehr gefreut, ihn zu sehen, aber es schmerzt auch zu erleben, wie distanziert Marvin ist. Ich denke oft an ihn und bin mit Anna und Meike gespannt, wie es ihm inzwischen geht. Abends um zehn Uhr ruft Anna an. Marvin ist nicht gekommen. Er hat auch nicht abgesagt. Später fällt mir ein, dass Frau Henning, seine Nennoma, immer gesagt hat, Anna wäre Marvins Mutter äußerlich ähnlich. Sie war erst achtzehn, als Marvin auf die Welt kam. Und ich überlege, ob er jetzt mit Anna macht, was seine Mutter mit ihm gemacht hat … ihn einfach im Stich lassen? Auch früher war Anna oft Ziel seiner Attacken. Ich wusste immer, wie schwierig Marvin war, und überließ Anna deshalb nicht die Aufsicht über die beiden jüngeren Geschwister, so wie früher, als sie hin und wieder auf Meike achten musste. Anna, die acht Jahre älter ist als Meike, war eine perfekte kleine Mama gewesen. Sie hatte Meike mit Leidenschaft gewickelt und gefüttert und mit ihr gespielt, und sie hatte sich auf den kleinen Bruder gefreut. Aber die Freude wandelte sich mit der Zeit in Unsicherheit. Marvin war nicht froh wie Meike, wenn die Großen sich mit den kleinen Geschwistern beschäftigten. Das wurde mir ganz klar, als ich es einmal gewagt hatte, Anna mit Meike und Marvin vorzuschicken auf den Spielplatz gegenüber unserem Wohnhaus – damals war Marvin schon über ein Jahr bei uns. Ich hatte noch zwei, drei Handgriffe im Haushalt zu erledigen. Als ich fünf Minuten später auf dem Spielplatz ankam, war Anna völlig aufgelöst. Nach und nach bekam ich heraus, dass Marvin laut brüllend auf den Spielplatz gestürmt war, die Schuhe von sich geschmissen und Anna mit

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