Schnittstellen
depressiv, oft wütend und ein Pessimist, wie er im Buche steht. Andererseits hast du dir eine interessante Art angeeignet, dich auszudrücken. Zitat: »Fuck! Fuck, fuck, fuck!«
Mein inneres Kind ist SECHZEHN Jahre alt! Das Leben ist nicht fair! Ich weiß, dass es das nie gewesen ist, aber während die Erwachsenen das mittlerweile akzeptiert haben, muss ich etwas ändern! Und das wird es, sobald ich erwachsen genug dazu bin und die nötige Macht dazu habe! Du bist ein Brutalo, der alle kontrolliert. Aber überleg mal, ob du Freunde hast. Nein? Ich wusste es. Vielleicht solltest du nicht so viele verprügeln.
Du bist geisteskrank, verrückt und völlig irre … willkommen in unserer Organisation!
(Meike)
9. KAPITEL
Meike
»Meike, wir müssen mal reden. Ganz in Ruhe«, sagt meine Mutter. »Wenn du nicht mehr zur Schule willst, dann müssen wir uns etwas anderes überlegen.«
Im ersten Moment versuche ich auszuweichen, aber ich weiß, dass sie recht hat. Ich kann nicht nichts tun. Aber was soll ich tun? Einen Job suchen, arbeiten gehen? Arbeiten ist sicher besser als Schule. Und arbeiten ist sicher auch besser als zu Hause zu hocken und sich zu langweilen. Ich kann mit Langeweile nicht umgehen. Dann mach ich immer nur dummes Zeug, zu viel essen oder die Sache mit dem Spiegel …
Meine Mutter räuspert sich. »Ich hätte eine Idee, aber ich weiß nicht, wie du sie findest.«
Sie hat eine Idee? Sie zeigt mir diesmal nicht das Ende der Sackgasse, in der ich stecke, sondern hat eine Idee, daraus fortzukommen? Ich bin gespannt. Und ich bin skeptisch.
»Du könntest ein Praktikum machen, bei einem Bestatter …«
Ein Praktikum bei einem Bestatter!
»Wäre das vielleicht etwas für dich?«
Ja! Und ob! Ich bin dabei!, denke ich, kann im ersten Moment aber nur nicken, so überrascht bin ich.
Ich dachte immer, dass meine Mutter meine schwarze Kleidung nicht gern sieht und dass sie mich von den Themen, die mit dem Tod zu tun haben, fernhalten will. Aber sie hat tatsächlich vorgeschlagen, dass ich ein Praktikum bei einem Bestatter machen soll. Krass! Der beste Vorschlag aller Zeiten.
»Ich weiß nicht, wie ich darauf gekommen bin, vielleicht ist es auch gar nichts für dich –«
»Doch! Klar! Das ist eine super Idee! Ich würde gern beim Bestatter arbeiten. Das ist bestimmt interessant.« Mir gefällt der Gedanke, etwas zu machen, was nicht jeder tut. Und es ist sicher keine Arbeit, bei der man grinsend dastehen muss und den Leuten dabei zustimmen darf, wie schön das Leben doch ist! Kunden eines Bestatters sind bestimmt alles andere als fröhlich, und damit komme ich besser zurecht. Und die anderen Menschen, mit denen ich dort zu tun habe, sind tot. Tote müssen ziemlich angenehme Zeitgenossen sein. Die reden nicht, die schweigen einfach. Schweigen. Schweigen, so wie sich das gehört. Als ob sie verstanden hätten, dass es zu der ganzen gruseligen Menschheitsmisere sowieso nichts Gescheites zu sagen gäbe. Ich freue mich. Ich freue mich, dass meine Mutter meint, ich könne in einem Bestattungsunternehmen arbeiten.
Anja
Meike tut, als seien Geburtstag und Weihnachten für sie zusammengefallen. Die Idee, ein Praktikum bei einem Bestatter zu machen, begeistert sie. So hab ich mein Kind lange nicht mehr erlebt.
Nach dem Gespräch muss ich doch noch einmal daran denken, welch ein Gräuel die Schule für sie darstellen muss! Die Schule ist der Ort, an dem junge Menschen in besonderem Maße die Gelegenheit gegeben werden soll, ihr Wissen, ihre soziale Kompetenz, ihre Denkfähigkeit, eben ihren gesamten Horizont zu erweitern. Aber löst sie das auch ein? Gibt es nicht viel zu viele Beispiele dafür, dass unsere Schulen nicht so ein Ort sind?
»Schau über deinen Tellerrand« war mal so eine Devise zur Förderung der Mitmenschlichkeit und Toleranz. Der Tellerrand an Gymnasien scheint mir so hoch, dass man nur sehr schwer hinüberschauen kann und vor allem Gefahr läuft, in seiner Suppe zu ertrinken. Vom Gymnasium unseres Schulzentrums hat sich kurz vor meiner Einstellung an der Gemeinschafts-Hauptschule ein Schüler umgebracht. Als ich in meiner Klasse darüber sprach, weil eine Schülerin den Jungen näher kannte und das dramatische Geschehen immer noch in ihr arbeitete, fragte ich die Jugendlichen, wie sie mit Problemen umgehen, die sie belasten. Ich nannte auch noch einmal eindringlich alle Anlaufstellen, die zur Verfügung stehen, wenn man einmal nicht weiterweiß. Die Bemerkung eines Schülers, die große
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