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Schnittstellen

Schnittstellen

Titel: Schnittstellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Abens
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und brauchte am Sportunterricht nicht teilzunehmen. Und jetzt geht das alles wieder von vorn los. Ich hasse Schulsport, ich hasse es, in Sportsachen vor anderen Leuten herumzulaufen, dann fühle ich mich nackt und widerlich. Wenn ich mich umziehen muss, ist es genauso schrecklich, aber dann die zwei Stunden mit diesen vielen Menschen in einer Halle nur in Sporthose und T-Shirt herumzuspringen, finde ich grauenhaft. Im Klassenzimmer kann ich wenigstens auf meinem Stuhl am Tisch sitzen. Geschützt von Stuhl und Tisch, das ist erträglich. Aber sich vor anderen zu bewegen, das geht gar nicht. Für die Elf habe ich kein Attest mehr. Meine Mutter, meine idiotische Mutter meint, ich solle weiter Sport machen, das sei sonst ungesund und ungut und so weiter. Klar! »Wenn ich weiß, dass ich am nächsten Tag in der Schule Sport machen muss, dann werde ich am Abend vorher nur kotzen«, habe ich ihr gesagt. Ich habe das nicht gesagt, weil ich sie provozieren wollte, sondern weil es der Wahrheit entspricht und es tatsächlich unumgänglich ist. Aber das interessiert sie anscheinend nicht. Deshalb habe ich aufgehört, mit ihr darüber zu diskutieren. Ich werde letzten Endes einfach nicht beim Sport mitmachen, wenn ich es nicht kann.
    Der Sport ist aber nur die eine Sache. Ich frage mich, wie gesagt, wie meine Eltern überhaupt auf die Idee kommen konnten, mir nahezulegen wieder in die Schule zu gehen. Ich fühle mich verarscht. Verarscht. Als hätten sie nie vorgehabt, mir die elfte Klasse zu ersparen. Und ich habe auch noch eingewilligt. Meine Mutter meint, dass Schule doch allein wegen der Klassenkameraden ein Grund wäre hinzugehen. Das ist so dämlich. Das war bei mir wohl fast seit der fünften Klasse kein Grund mehr hinzugehen und ab der acht dann eher ein Grund dagegen. Meine Klassenkameraden sind mir gleichgültig. Ich habe keine Ahnung, wer sie sind. Ich habe nichts mit ihnen zu tun. Sie interessieren mich nicht. Außerdem sind jetzt viele von fremden Schulen dazugekommen, dass es ohnehin unmöglich ist, irgendeinen Einstieg zu finden. Ich kann eben keine sozialen Kontakte knüpfen, und es macht mich unsicher und sogar wütend zu sehen, wie andere Menschen einfach ohne Probleme miteinander ins Gespräch kommen. Ich kann das nicht. Ich will es nicht, aber können tue ich es auch nicht. Ich kann nicht einfach mit anderen Leuten reden. Ich fühle mich dann unsicher und ausgeliefert und werde nervös. Darauf habe ich keinen Bock. Ich werde also dabei bleiben und meine Mitschüler schlichtweg als Fremde betrachten.
    Meikes Tagebuch
    Gebt mir eine Welt,
    in der ich,
    ich,
    sein kann.
    Ich finde mich,
    widerlich.
    Ich wünschte, ich könnte mir die Haut vom Leibe reißen und jede einzelne Fettschicht darunter abziehen. Schicht für Schicht für Schicht, mich meiner Ekelhaftigkeit entledigen. Ich wünschte, ich könnte mir mein widerliches Gesicht zerschneiden, es ist einfach missgebildet. Die Augen sind schief und klein und werden von Haut verschlungen, die sich bei jedem Lächeln und Lachen um sie wölbt, sie verschlingt von oben und unten, die kleinen, ekelhaften Schweinsäuglein, sie werden so klein dabei, dass man sie ausstechen möchte, sie hinausreißen, mit ihnen die Adern und Nerven, die würden dann wie Wolle aus toten Augenhöhlen hängen und würden womöglich vorteilhaft einen Teil der widerwärtigen Visage verdecken. Ich wünschte, ich könnte mir meine kranken, abstoßenden Fettwangen aus dem Gesicht schneiden. Sie sind, wie die Augen, schief. Sie stehen in verschiedene Richtungen ab und sind durchzogen von tiefen Furchen, die breite, wulstige Berge stehen lassen, wodurch die Fettleibigkeit schon im Gesicht deutlich wird. Widerlich. Und selbst wenn man diese Wangen gänzlich aus diesem Gesicht entfernen könnte, diese schwabbelige, deformierte, falsch geknetete Masse, so würden unter ihnen doch nur die verwachsenen Knochen zum Vorschein kommen.
    Ich kann meinen Anblick einfach nicht ertragen. Ich kann nicht ertragen, dass ich so ein Monster bin. Und ich könnte sie alle töten, wenn sie sagen, dass ich das falsch sähe. Sie haben bloß Angst. Bloß Angst, dass ich, würde ich die Wahrheit über mich erfahren, ausrasten und sie alle umbringen könnte. Ich würde es vielleicht tun. Hätte ich immer die hundertprozentige Gewissheit, würde ich sie möglicherweise alle abschlachten. Ich würde sie verstümmeln, ihnen zeigen, wie es ist, wenn man keine menschliche Gestalt hat, wie es ist, wenn man sich abartig fühlt.

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