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Schnittstellen

Schnittstellen

Titel: Schnittstellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Abens
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meine Eltern und ich mich mit dem Gedanken rumschlagen müssen, was ich als Schulalternative tun könnte. Ich freue mich so sehr! Und dann auch noch beim Bestatter! Ich glaube, einen besseren Beruf gibt es für mich nicht.
    Als ich Anna am Telefon von meinen Plänen erzähle, ist sie nicht sicher, ob ich wirklich damit klarkomme. Aber womit sollte ich nicht klarkommen? Mit dem Tod? Der Tod ist für viele etwas sehr Trauriges, das kann ich nachvollziehen. Aber verstehen kann ich es nicht. Der Tod gehört zum Leben dazu. Wenn es Zeit ist zu gehen, dann ist es eben Zeit. Es ist ja nichts Schlimmes tot zu sein, zumindest nicht für den, der tot ist. Ich glaube, das sehen die meisten Menschen nicht, dass der Tod nichts Schlimmes, sondern etwas Natürliches ist. Das wundert mich schon. Ich habe mit meiner Mutter mal darüber gesprochen, dass viele Menschen nicht gern über den Tod nachdenken, weder über den eigenen noch über den von anderen. Das finde ich seltsam. Der Tod ist doch interessant, er ist geheimnisvoll, auch wenn nach dem Tod das riesige Nichts kommt. Er ist mir lieber als das Leben. Ja, der Tod ist mir definitiv lieber als das Leben. Klar kann ich niemandem einen Vorwurf machen, dass er lieber lebt als tot ist oder lieber mit Lebenden zusammen ist als mit Toten, aber wirklich verstehen kann ich das nicht.
    Anja
    Es ist wie immer. Für Meike scheint nun zunächst der richtige Weg gefunden, da kommt es wieder von anderen Seiten hammerhart. Irgendwelche neuen Bestimmungen führen dazu, dass ein Vierteljahr vor der Lehrerabschlussprüfung beide Seminarleiter wechseln. In Deutsch habe ich noch Glück, die Neue ist eine ehemalige Schülerin des Leiters, der uns bisher begleitet hat. Das heißt, die Prioritäten und Anforderungen sind ähnlich gelagert. In Englisch ist es ein Grauen. Die neue Dame hat völlig andere Vorstellungen als ihr Vorgänger und will alles in drei Monaten ummodeln, denn ihr Konzept ist das Nonplusultra. Fünf meiner Mitstreiter verabschieden sich in der Zusammenarbeit mit ihr, werden krank, schieben auf, machen jedenfalls den Abschluss in diesem Durchgang nicht mehr, und das, obwohl es alles junge Leute sind. Mir drängt die Frau alle Erinnerungen an die Angst machenden Elemente meiner Schulzeit auf. Ich will es aber schaffen, ich schiebe die Panik bewusst zurück. Doch die Aufgaben des Seminars plus dreiundzwanzig Stunden Unterricht in der Schule bedeuten eigentlich nur Randzeiten für die Familie und zum Durchatmen. Dann hat sich noch ein Dokumentarfilmer, der sich freundlich und scheinbar empathisch an die Schüler und mich herangemacht hat, in meinen Schulalltag eingeschleust und versucht nun, ohne Rücksicht auf Schüler und Stundenplan, vor allem seine Interessen durchzusetzen. Unverschämt! Aber ich lerne nicht aus meinen Fehlern! Als mir eine Erkältung auf die Stimmbänder schlägt, bleibe ich nicht zu Hause, um mich zu kurieren, nein, ich gebe stummen Unterricht. Es fällt mir äußerst schwer, mich krankschreiben zu lassen. Ich gehöre zu denen, die stolz sind, nicht ein Mal zu fehlen, egal was abgeht. Das ist irgendwie krank, das gebe ich zu, aber ich kann nicht aus meiner Haut. Zum Fehlen bringen mich nur Notoperationen und absolute Bettlägerigkeit. Ich kann meine Grenzen nicht gut erkennen. Und merke, wie ich in der Freizeit nur noch Kraft sammle, um wieder arbeiten zu können. »Das ist nicht gut«, sagt meine Kollegin, »wenn du nur noch schläfst, um wieder zu arbeiten, dann läuft etwas falsch.« Recht hat sie, aber wenn ich die Tiefs durchgestanden habe, denke ich: Hat doch geklappt!
    Meike
    Ich bin gespannt darauf wie es ist, eine Leiche anzufassen. Ich bin gespannt, ob ich die Ausbildung machen kann und ob ich vielleicht sogar an einen Sarg komme, den ich doch so gern schon hätte, bevor ich damit in die Erde eingelassen werde. Ja, ich wünsche mir einen Sarg. Ich bin kein Grufti und er soll nicht als Bett dienen, versteht sich, das stelle ich mir nicht sonderlich bequem vor. Aber als Dekoration. Als praktische Dekoration, in der man Krams verstauen kann, genau wie in einer Truhe eben. Meine Mutter ist nicht so begeistert von dieser Idee, aber das macht ja nichts … wenn ich Glück habe, kann ich vielleicht schon bald einen Sarg mein eigen nennen. Ich kann es kaum abwarten, dass Montag ist.
    In der Bahn auf dem Weg nach Brühl bin ich aufgeregt. Und der erste Tag beim Bestatter enttäuscht mich nicht. Ich habe ein Holzkreuz mit den Buchstaben für den Namen eines

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