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Schock

Titel: Schock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter Evan
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deine Pläne verdorben habe«, sagte er.
    Sie drehte sich neben ihm auf den Bauch, stützte den Kopf auf die Hand, sah ihm unmittelbar ins Gesicht und sagte: »He, du!«
    »Ja?«
    »Lass das gefälligst.«
    »Okay.«
    »Du hast mir überhaupt keine Pläne verdorben.«
    »Okay.«
    »Solchen Unsinn sollte es zwischen uns nicht geben.«
    »Okay.«
    »Weil es gut genug ist, so wie es ist.«
    »In Ordnung.«
    »Übrigens brauch' ich mir das Haar nicht mehr zu waschen. Dafür hat schon der Regen gesorgt.«
    »Aber deine Wäsche mußt du waschen.«
    »Ja. Aber ich brauche dazu nicht wegzugehen. Die Maschine steht im Keller.«
    »Ausgezeichnet. Ich gehe mit dir in den Keller und helfe dir beim Waschen.«
    »Gut, wenn du meinst …«
    »Ja?«
    »Nun«, sagte sie nachdenklich, »das Zeug in den Keller zu tragen und in die Maschine zu packen, dauert nur eine Minute.«
    »Und?«
    »Und dabei haben wir tatsächlich bis elf Uhr Zeit, oder vielleicht noch ein wenig länger. Irgendwer ist ins Theater gegangen; sie holen ihn ab und kommen dann erst. Das kann gut noch eine Viertelstunde länger dauern, wenn nicht gar eine halbe.«
    »Ja, und?«
    »Dann könnten wir die Wäsche hinunterbringen, und wenn sie in der Maschine ist, wieder heraufkommen. Dazu brauchen wir allenfalls vierzig Minuten. Was hältst du davon?«
    »Eigentlich hätte ich Lust, deine schmutzigen Sachen hinter der Scheibe wirbeln zu sehen.«
    »Also gut, wie du willst. Ich sagte nur, wenn wir schon bis halb zwölf Zeit haben, haben wir noch eine Menge Zeit.«
    »Wofür?«
    »Nun, für alles, was du damit anfangen willst.«
    »Mit was?«
    »Gott, mit der Zeit.« Sie hielt inne, fuhr ihm mit der Hand durchs Haar und sagte: »Du bist ein kluges Kind, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte er grinsend, »ich bin ein kluges Kind.«
    »Du willst, daß man dir alles ganz genau sagt, ja?«
    »Eben.«
    »Also gut, ich sage es dir ganz genau.«
    »Wann?«
    »Später. Erst ziehen wir uns an.«
    Am 15. Juni 1950 bestanden sie die Prüfung.
    Die Examensfeier fand auf dem Ohio Field beim University Heights Campus in der Bronx statt. In Barett und Talar neben Grace sitzend, hörte Buddwing, wie der Quästor der Universität den versammelten Studenten und Gästen mitteilte, daß dieser 118. Examensjahrgang der zahlenmäßig stärkste in der Geschichte der Universität sei; er schaute zu den drohenden Wolken am Horizont hinüber und dachte daran, daß vielleicht Regen bevorstand. Die Angehörigen der Universität waren nasse Examensfeiern gewöhnt; in den letzten fünf Jahren war die Feier viermal eingeregnet – und dennoch erschien Buddwing die Aussicht auf Regen wie ein böses Omen.
    An diesem Tag wurde 9.158 Studenten ein akademischer Grad zuerkannt, erklärte der Quästor; Buddwing beobachtete die Wolken voll böser Vorahnung. Fünfundfünfzig Prozent der Diplome gingen an Teilnehmer des Zweiten Weltkrieges. Wie lange hatte er nicht auf die Verheißung dieses Tages gewartet – wieviel misstönige Nächte mitten im Pazifik, unter dem Donnern japanischer Geschütze, wieviel langweilige Vorlesungen in muffigen Hörsälen im Frühling, wieviel endlose Kurse in Nebenfächern, Zehnminutenprüfungen, Abschlußexamen und Referate, die am Freitag, dem zwölften, abzuliefern waren. Er hoffte inständig, daß der Regen ausbliebe. 5.866 Baccalaureate wurden verteilt, 2.885 Master-Diplome, 196 Doktortitel und 209 Fachdiplome – er hatte sich diese Zeremonie nur in strahlendem Sonnenschein vorstellen können. ›Führen Sie die Truppe aus der Sonnenglut, Oberst‹ – sein Gesicht, Graces Gesicht im hellen Licht, ein Versprechen für die Zukunft. Und nun drohten Regenwolken am Himmel, und er hörte zu, wie verkündet wurde, daß Alfred Lunt und Lynn Fontanne einen gemeinsamen literarischen Ehrendoktortitel erhielten. Plötzlich war er froh, daß Grace und er getrennte Titel bekamen; er wartete ungeduldig auf den Beginn der eigentlichen Zeremonie, in ständiger Angst, es könnte zu regnen anfangen, bevor dieser Höhepunkt des Tages durchlebt war. Er bekam sein Diplom und einen Händedruck von Dr. Chase, dem Kanzler der Universität. Dann ging er zu seinem Platz zurück, hinter Grace her, die gerade von der Plattform stieg, nur wenige Schritte vor ihm. Als sie wieder saßen, legte er seine Hand auf die ihre und drückte sie sanft.
    Es regnete, noch bevor Dr. Chase seine Rede halten konnte. Zuerst regnete es nur ein wenig; er, Grace, die anderen Studenten und die Gäste hofften, der Regen würde

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