Schock
nichts ausmachen, eine Zeitlang irgendwo als Verkäuferin zu arbeiten oder …«
»Hol's der Teufel«, sagte er, »schließlich hast du ein Examen abgelegt!«
»Ja, glaubst du etwa, wir können unsere Diplome essen?« fragte sie.
»Natürlich nicht. Gerade deshalb denke ich daran, nach Paris zu gehen.«
»Wir haben nicht einmal das Fahrgeld.«
»Ich könnte mir irgendeinen Job suchen und das Fahrgeld verdienen. Dann könnten wir fahren.«
»Von mir aus; wenn du es nun einmal so willst. Ich dachte nur, weil ich als Zwilling geboren bin …«
»Also Grace, fang nicht wieder damit an! Du willst doch nicht allen Ernstes …«
»Doch, ich will.«
»Das ist doch blanker Unsinn, und du weißt es.«
»Weshalb habe ich denn einen Monat im Bett gelegen, wenn du mir das bitte sagen würdest?«
»Du hattest Grippe«, sagte er.
»Nein, ich hatte eine Bronchitis.«
»Dr. Manero hat Grippe festgestellt.«
»Dr. Manero hat keine Ahnung«, sagte Grace. »Wenn man als Zwilling geboren ist, sind die Lungen der schwächste Teil des Körpers. Ich hatte schon immer mit meinen Lungen zu tun. Mein Lebtag habe ich mich leicht erkältet – du weißt es doch, gib es nur zu.«
»Ich erkälte mich auch leicht. Dabei bin ich ein Steinbock; was zum Teufel beweist das also?«
»Du erkältest dich nicht, du bekommst einen leichten Rheumatismus. Wenn du ein Steinbock bist, sind deine Knie, Knochen und Gelenke die schwächsten Körperteile.«
»Mit meinen Knien, Knochen und Gelenken hatte ich nie Ärger«, sagte Buddwing.
»Außer, wenn du mit einem leichten Rheumatismus zu tun hast.«
»Ich bekomme keinen leichten Rheumatismus, ich bekomme ganz ordinäre Erkältungen.«
»Das kannst du nennen, wie du willst; zufällig weiß ich Bescheid«, sagte Grace.
»Ja, ja! Fatme, die Wahrsagerin!«
»Mach dich lieber nicht darüber lustig«, warnte sie.
»Die Königin des Tierkreises«, sagte er.
»Ich finde das durchaus nicht komisch.«
»Eben. Weil du keinen Sinn für Humor hast.«
»Dafür kann ich nichts. Ich bin unter dem Zeichen der Zwillinge geboren. Und niemand hat ein Recht, mich für ein hirnloses Geschöpf zu halten.«
»Aber für intelligent, logisch und gewissenhaft darf man dich halten?«
»Genau.«
»Und gerade deshalb bist du im ersten Semester – damals, als ich dich kennen lernte – in griechischer Mythologie durchgefallen.«
»Ich bin in griechischer Mythologie durchgefallen, weil Zwillinge ihre Energien nie konzentrieren können. Du weißt, daß ich zum Wechsel neige. Ich fange irgend etwas an, und dann verliere ich die Lust und fange etwas anderes an. Das ist völlig normal, wenn man als Zwilling geboren ist.«
»Gewiß doch«, sagte er.
»Was nicht heißt, daß ich nicht ehrgeizig wäre.«
»Nein, ich weiß.«
»Oder nicht feinfühlig genug.«
»Du bist ungemein feinfühlig«, sagte er.
»Ja, und ich sage, was ich denke; ein weiteres Charakteristikum der Zwillinge. Wenn es dir im Augenblick auch nicht recht zu sein scheint – stimmt's?«
»Nein. Du kannst immer sagen, was du denkst. Das verbietet dir niemand.«
»Schön, dann meine ich, daß eine intelligente Frau, die ihr Examen bestanden hat, auch das Recht hat, sich einen Job zu suchen, wenn ihr Mann dazu nicht in der Lage ist.«
»Kein Mensch verbietet dir zu arbeiten. Leben wir denn im Mittelalter? Wenn du arbeiten willst, arbeite. Ich bleibe zu Hause, wische die Küche und kriege die Kinder, die man eigentlich von dir erwarten sollte.«
»Was willst du damit sagen?«
»Womit?«
»Mit dieser Anspielung auf das Kinderkriegen.«
»Nichts. Ich habe bisher lediglich angenommen, das Kinderkriegen wäre eine weibliche Funktion. Und der Mann geht dafür aus und …«
»Ich bin noch längst nicht so weit, ein Kind zu haben; reden wir also nicht davon, wenn es dir recht ist! Du kannst nicht einmal uns beide ernähren und redest von Kindern!«
»Für was hältst du mich denn jetzt? Für geistig zurückgeblieben? Ich will nun einmal keinen Job, der zu nichts führt; ist das so unvernünftig?«
»Durchaus nicht. Aber ich schlage ja nur vor, eine Zeitlang auszuhelfen; ist das etwa unvernünftig? Ich habe geglaubt, unsere Ehe wäre eine Art Partnerschaft. Wenn du wirklich nach Paris willst, wie du behauptest, warum sollte ich dann nicht …«
»Ich weiß nicht, ob ich nach Paris will.«
»Schön, was willst du dann eigentlich? Würdest du mir das bitte sagen?«
»Ich weiß es noch nicht.«
»Und wann wirst du es wissen? Wenn wir beide
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