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Schock

Titel: Schock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter Evan
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phantastische Situation sie heraufbeschwor. Sie konnte es völlig ernst meinen, wenn sie zu einem Betrunkenen in der Gosse »Schämen Sie sich!« sagte, ebensogut konnte sie eines Samstags abends vorschlagen, daß man zwei Flaschen Scotch (ein Luxus!) kaufte und versuchte, beide vor dem Zubettgehen zu leeren. Bei den Semesterprüfungen konnte sie mogeln, ohne mit der Wimper zu zucken, um gleich darauf eine Schmährede gegen russische Staatsmänner vom Stapel zu lassen, die ihr Wort gebrochen hatten. Sie brachte es fertig, ihm eines Abends mit einem frostigen »Du denkst wohl an überhaupt nichts anderes!« den Rücken zu kehren, um ihn dann um zwei in der Frühe zu wecken, das Laken wie ein Zelt über den Kopf gezogen und darunter verführerisch wispernd. Sie war ganz und gar wie Quecksilber, und gerade ihre Unberechenbarkeit ließ das erste gemeinsame Jahr so lebendig werden.
    Wenn sie überhaupt Pläne für die Zukunft hatten, so waren es die Pläne sehr junger, unfertiger Menschen. Im ersten Studienjahr hatten sie sich kennen gelernt, und nun, im dritten, waren sie verheiratet. Sie redeten ständig vom Abschlußexamen, als wäre es irgendein geheimnisvoller Ritus, der ihnen den Schritt über die unsichtbare Grenze freigab, die sie von der realen Welt produktiver Menschen trennte. Jenseits dieser Grenze würden sie ihren rechtmäßigen Platz in der Ordnung der Dinge einnehmen. Wo dieser rechtmäßige Platz lag oder wie sie ihn einnehmen würden, ahnten sie beide nicht. Ihre Pläne waren völlig spontan und wechselten ständig; jeder neue Entwurf versetzte sie in Aufregung. Eine Woche lang lebten sie von der Entscheidung, gleich nach dem Examen nach Paris zu gehen, dort möglichst nichts zu tun, in Straßencafés Absinth zu trinken und in Dachkammern, von denen aus man Wälder von Schornsteinen überschaute, miteinander im Bett zu liegen. In der nächsten Woche wurde beschlossen, daß sie beide den Master irgendwo im Westen machten, entweder an der Universität von Colorado in Denver oder an der Universität von Californien in Los Angeles. Wieder eine Woche danach schlug Grace vor, den Sommer in Skandinavien zu verbringen und dort als Englisch sprechende Reisebegleiter für Busunternehmen zu arbeiten – eine Gelegenheit, etwas Geld für den späteren Bildungsgang auf die hohe Kante zu legen. Buddwing verbesserte diesen Gedanken, indem er vorschlug, für eine Zeitlang nach Puerto Rico zu gehen, wo der Sand weiß war, die Sonne heiß und das Einkommen steuerfrei. Vor ihrem imaginären Besuch war keine Weltgegend sicher, keine Beschäftigung zu bizzar, kein Traum zu phantastisch. Reiseprospekte strömten täglich bündelweise in ihre Wohnung; sie durchstöberten die Welt wie Entdeckungsreisende, die es nicht erwarten können, in See zu stechen. Der Angelpunkt aller ihrer Träume hieß ›Abschlußexamen‹ – der legendäre Paß für die Welt der Erwachsenen. Hatten sie erst die Universität hinter sich, waren sie erst frei von der Klosteratmosphäre des akademischen Daseins, so würden sie die Welt in den Griff bekommen, indem sie sie entdeckten – und vielleicht wollte es der Zufall, daß sie auch sich selbst dabei entdeckten. Daß zumindest einige ihrer Pläne die weitere Dauer ihrer Studien, den Fortbestand jener Klosteratmosphäre, die sie wie ein Brutschrank schützend umgab, voraussetzte, schienen sie nicht zu bemerken. Das Abschlußexamen würde alle Fragen lösen. Das Abschlußexamen würde sie in die Lage versetzen, weitere Pläne zu entwerfen und ihre eigentliche Bestimmung zu finden. Es hatte noch keine Eile, sich zu entscheiden – noch lag der ganze Sommer vor ihnen. Bis dahin konnten sie weiterleben, wie sie es von Anfang an getan hatten: in einer Welt der Einbildung, die keiner von ihnen als Phantom erkannte.
    »Woran denkst du?« fragte er.
    »Ich versuche mich darauf zu besinnen, ob wir noch genug zu trinken haben.«
    »Wofür?«
    »Nachher kommen noch ein paar Freunde.«
    »Ach?« sagte er. »Tatsächlich?«
    »Ja, so gegen elf.« Sie hielt inne. »Was ist denn?«
    »Nichts. Ich dachte nur, wir blieben allein.«
    »Es ist ja erst halb zehn.«
    »Ja, ja, okay.«
    »Es tut mir leid, aber ich habe sie gestern eingeladen.«
    »Okay.«
    »Ich konnte ja nicht ahnen, daß ich dich kennenlernen würde.«
    »Das weiß ich.«
    »Wirklich, für den frühen Abend hatte ich eigentlich überhaupt nichts vor. Ich wollte mir das Haar waschen. Und ein wenig Wäsche. Das war alles.«
    »Tut mir leid, wenn ich

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