Schock
Buddwing. »Ja, ich war schon einmal auf einem Dach.«
»Sehen Sie, das hat er alles gezeichnet – die Fernsehantennen, die Ziegelmauern, und wie sich die Teerpappe wellt; auf einem der Dächer ist sogar ein Taubenschlag. Mann, der sieht einfach alles! Wann zeichnest du uns mal, he?«
»Mache ich noch«, sagte Beethoven.
»Er verspricht immer wieder, daß er uns zeichnen will«, sagte L.J. »Aber er tut es doch nie.«
»Nun, schließlich hat er auch dieses Mädchen mit in den Park genommen und gezeichnet, stimmt's nicht? Was?«
»Sie hat ihm Modell gestanden«, sagte L.J. grinsend.
»Das Bild sollten Sie sehen«, sagte Rotweste. »Nun komm schon, geh rauf und hol deine Sachen, okay?«
Das habe ich schon einmal gehört, dachte Buddwing. Ich war schon einmal mit diesen Jungen in dieser Milchbar, in dieser Nische. Wir redeten von Sex und Träumen, wir redeten von Ehrgeiz und Sehnsucht, wir nahmen Anteil aneinander, wir fühlten damals, was wir heute in dieser Nische fühlen, Stolz, Freude, Wärme; ich kenne diese Jungen.
»Kommt, wir wollen beim Spiel zusehen«, sagte L.J.
»Aber ich muß auf das Haus da drüben achten«, sagte Buddwing.
»Das können Sie auch von der Straße aus tun. Es läuft Ihnen nicht weg.«
»Wahrscheinlich nicht.«
»Mann, an dieser Doris muß was dran sein«, sagte Beethoven.
Sie drängten sich aus der Nische und gingen zum Ausgang der Milchbar. Artie schaute von seiner Zeitung auf und sagte: »Fünfundvierzig Cents für den Kaffee und fünf für die Zeitung, wenn's Ihnen recht ist.«
Er läßt sich nicht für die Extratasse zahlen, dachte Buddwing und sagte: »Geht in Ordnung.«
»Nein, nein, wir zahlen für uns selbst«, sagte L.J.
»Nein, kommt nicht in Frage.«
»Nun kommen Sie, Himmel, schließlich sind wir drei. Das geht doch nicht. Kommen Sie, wirklich.«
»Nein, lassen Sie mich nur«, erwiderte Buddwing und legte fünfzig Cents auf die Theke – die beiden Vierteldollar, die er als Wechselgeld in Schwartz' Cafeteria bekommen hatte. Das Zehncentstück und das Fünfcentstück waren noch in seiner Tasche; er fragte sich plötzlich, wieviel Noten ihm noch geblieben waren. Für die Taxifahrt hatte er einen Dollar ausgegeben, jetzt kamen fünfzig Cents dazu – sollte er Artie ein Trinkgeld geben? – und wieviel blieb ihm dann noch? Waren drei Noten in seiner Tasche oder nur zwei? Wie lange würde sein Geld reichen? Und wie lange würde es dauern, bis sie ihn, Edward Vossler, wieder nach Central Islip zurückschleppten, um ihn mit Elektroschocks zu behandeln, oder um ihn in eine Wanne voll dampfenden Wassers, mit einem Gummilaken bedeckt, zu stecken … ach, das gab es doch nur im Film, Olivia de Haviland in Schlangengrube, dachte er plötzlich und überlegte dann, ob er überhaupt schon einmal in einer Irrenanstalt gewesen war – ob er wirklich Edward Vossler war, der ausgebrochene schizophrene Paranoiker.
Nun, dachte er, Doris wird es mir sagen, wenn sie je aus diesem verdammten Haus herauskommt. Sie ist jetzt schon länger als eine halbe Stunde drin; ob sie überhaupt noch kommt? Hol sie der Teufel, dachte er plötzlich. Ich habe meine Freunde, ich führe mein eigenes Leben – und dann begriff er, wie absurd dieser Gedankengang war. Die drei Jungen, die er getroffen hatte, waren schwerlich seine Freunde – wie kam er nur auf die Idee, daß sie es wären? Nur weil sie mit ihm zusammengesessen hatten, nur weil er etwas wie momentane Sympathie gespürt hatte, die sie ihm entgegenbrachten, Beethovens unschuldiges Engelslächeln, das vertrauliche Gerede von Rotweste, die scherzhaften Stöße, die L.J. ihm versetzt hatte? Sie waren nicht seine Freunde. Sie waren ein paar Jungen, mit denen er sich an einem milden Frühlingstag unterhalten hatte. Und doch fühlte er sich ihnen immer noch sehr nahe, als er in die Frühlingssonne hinaustrat, plötzlich die Geräusche des Schlagballspiels hörte, und dann das Klappern des Besenstiels, der auf den Asphalt fiel.
Er blinzelte in die Sonne. Er hörte den Besenstiel rollen; es schien das einzige Geräusch auf der Straße. Die Sonne stach in seine Augen; Erinnerung, scharf, hart und plötzlich, fast blendend in ihrer Intensität, nagelte ihn im grellen Strahl schlecht gefilterten Sonnenscheins auf dem Gehsteig fest – es ist allzu still in diesem Haus.
Die Sonne scheint durch ein schmales Fenster in die Vorhalle. Sie durchschneidet die Luft, tanzende Staubflocken, in der Wohnung ist es sehr still. Irgendwo im Wohnraum
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