Schockgefroren
kein Alptraum. Ich bin immer noch im Wohnwagen, ich bin nackt, der Mann ist da, ich habe furchtbaren Durst und schrecklichen Hunger, es ist kalt und schmutzig. Der Mann sieht, dass ich wach bin, er kommt rüber, öffnet seine Hose. Ich soll seinen Pimmel reiben, ich soll ihn in den Mund nehmen, er versucht immer wieder, den Pimmel in meinen Po zu stecken. Ich tue, was er will. Ich lasse alles mit mir geschehen. Ab und zu weine ich, obwohl ich weiß, das sollte ich bleiben lassen. Wenn ich weine, glaubt er, alles mit mir machen zu können. Aber ich kann nicht länger dagegen ankämpfen. Ich kann gegen gar nichts mehr ankämpfen. Ich habe es versucht, und ich habe verloren. Der Mann ist größer als ich, er ist stärker als ich, er hat mich. Er hat mich, und er wird mich nicht mehr gehen lassen. Ich werde hierbleiben, bis ich sterbe. Meine Eltern haben mich längst vergessen. Ich stelle mir vor, wie sie zuhause sitzen und Witze reißen. Ich weiß nicht, weshalb ich mir das vorstelle, aber ich sehe sie vor mir: Mein Papa hockt auf der Couch, meine Mama sitzt am Tisch. Ständig erzählen sie sich Witze:
»Herr Meier kauft sich eine Pizza am Stand«, sagt Papa. »Fragt der Verkäufer: ›Soll ich sie in acht oder zwölf Stücke schneiden?‹ Meint Herr Meier: ›Besser in acht. Zwölf schaffe ich nicht.‹«
Meine Mama fällt fast vom Stuhl vor Lachen. »Wie transportiert man vier Elefanten in einem VW Käfer?«, fragt sie. »Ganz einfach: zwei vorne, zwei hinten.« Papa hält sich auf dem Sofa den Bauch.
Als ich das sehe, muss ich weinen. Der Mann wird laut. Er schreit herum, ich bekomme noch mehr Angst. Vor lauter Angst muss ich Pipi, der Mann reicht mir eine Dose. »Da rein«, sagt er. Dann ist er schon wieder neben mir und spielt mit seinem Pimmel herum. »Nimm ihn in den Mund, oder es setzt was.«
Was anderes kennt er nicht: Entweder. Oder.
»Schluss mit den Mätzchen, sonst knallt’s.«
»Nimm ihn in die Hand, sonst haue ich dir eine rein.«
Er haut mir auch so eine rein. Dann noch eine und noch eine.
»Es klatscht«, sagt der Mann. »Aber es ist kein Beifall.«
Ich kann es kaum glauben, als ich auf die Uhr sehe, doch ich muss den halben Tag verschlafen haben. Und das mir, wo ich normalerweise kaum mehr als ein paar Stunden Schlaf finde, um danach hellwach durch die Wohnung zu tigern, vor dem Computer zu hocken, vor dem Fernseher, vor der Playstation. Oder mit einem Buch in der Hand in der Küche zu sitzen. Zu meiner Lieblingslektüre gehört die Bibel. Ich habe sie schon dreimal durchgelesen. Jetzt nehme ich mir den Koran vor. Mich interessieren die alten archaischen Geschichten von Gut und Böse, Schuld und Sühne, Verbrechen und Vergebung. Die Entführung hat mich zum Glauben gebracht, meine Schwester Petra mich zur Religion. Da mein Vater evangelisch und meine Mutter katholisch ist, einigten sie sich darauf, dass ich selbst entscheiden soll, welcher Glaubensrichtung ich angehören will. So kam es, dass ich ungetauft war, als wir in der Schule Religionsunterricht bekamen. In welchen Unterricht willst du gehen, wurde ich gefragt, und ich antwortete: in den evangelischen. Dort stellte ich viele Fragen: Warum ist das Heilige Land heilig? Was ist an Jerusalem so besonders? Weshalb will jeder diese Stadt haben? Kaum eine Frage wurde zu meiner Zufriedenheit beantwortet. Vielleicht sollte ich eines Tages alles selbst herausfinden? Ich würde gerne nach Jerusalem reisen. Ich würde die Stadt gerne mal sehen.
Ich verdränge die Gedanken an Jerusalem und Religion und nicht beantwortete Fragen und gehe duschen. Danach könnte ich einen Kaffee vertragen. Auf dem Weg in die Küche werfe ich einen Blick auf den Computer. Die Datei ist noch offen. Da steht: Ich bin sechs Jahre alt, wir sind in Urlaub in Spanien, in einem Ort namens Calpe. Und: Es ist schön hier, das Meer ist ganz nah, wir sind jeden Tag am Strand. Meine ganze Familie ist mitgekommen, mein Bruder, meine Schwestern, sogar Petra, die Älteste von uns. Sie will mich davon überzeugen, dass Gott im Himmel lebt und alles sieht.
Kein Wunder, musste ich ständig an Religion und das Heilige Land und Jerusalem denken! Anstatt mich mit wichtigeren Dingen zu beschäftigen, zum Beispiel meinem neuen Arbeitsvertrag. Das Tophotel in Kaprun wartet, und ich wäre von allen guten Geistern verlassen, wenn ich ihn nicht unterschreibe.
»Wir machen Ihnen ein Angebot, das Sie nicht ausschlagen können«, sage ich laut und erschrecke über meine eigene Stimme. Es ist
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