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Schockgefroren

Schockgefroren

Titel: Schockgefroren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Buzmann
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aber ich habe endlich mal wieder ein klares Ziel vor Augen: Ich will sesshaft werden und mir eine eigene Wohnung mieten. Bisher lebe ich bei meinen Eltern, wenn ich in der Gegend bin. Also spare ich mir alles vom Mund ab. Ich lege Zusatzschichten ein, halte das Trinkgeld zusammen. Im Hotel geht es drunter und drüber. Der Geschäftsführer setzt eine Menge Geld in den Sand, und eines Tages ist er weg. Der neue Mann kommt aus Hamburg, bringt ein eigenes Team mit, wirbelt viel Staub auf. Die zentrale Frage lautet: Wo können wir Kosten sparen? Der Geschäftsführer will von mir wissen, ob ich meinen Vertrag verlängern möchte, aber ich verlange mehr Geld, und das passt nicht zum Thema Kostensparen. Auf der anderen Seite sieht er, wie gut ich an den Tischen arbeite, und möchte nicht gleich »Nein« sagen, sondern verhandeln.
    Mittlerweile habe ich genug Geld für meine Wohnung in Wiesbaden zusammen. Ich richte sie mir schön ein; mein sicherer Hafen mit Ketten an Fenstern und Tür. Ganz in der Nähe gibt es ein Restaurant mit Loungebetrieb, und der Besitzer fragt, ob ich bei ihm arbeiten will. Also sage ich Bad Schwalbach »Adieu«, bevor wir uns auf den neuen Vertrag einigen können. Ich verschwende keinen Gedanken daran, dass hier, wo ich aufgewachsen bin, manchen Leuten meine Geschichte im Gedächtnis geblieben ist. Schließlich ist das lange bevor ein Reporter kommt und die Tür zum Verlies öffnet. Als daher eines schönen Tages ein paar Stammgäste meines neuen Arbeitgebers Fragen zu meiner Vergangenheit stellen, bin ich starr vor Schreck. Ich verbringe eine schlaflose Nacht und rufe am nächsten Morgen meinen Chef an.
    »Ich kündige«, sage ich. Mehr nicht. Keine Begründung, nichts. Was kann ich auch erklären? Ich bin nicht in der Lage, dem Chef auseinanderzusetzen, dass ein paar wenige Fragen seiner Gäste mich völlig aus dem Gleichgewicht brachten. Stattdessen hadere ich mit mir: Wäre ich nur in Bad Schwalbach geblieben oder an einem anderen Ort, wo der Name Sascha Buzmann nicht mehr als ein achtloses Schulterzucken hervorruft.
    Dafür habe ich jetzt meine eigene Wohnung. Eigentlich wäre es wirklich schön, irgendwo in der Nähe arbeiten zu können. Aber es geht nicht, wenn die Leute Fragen stellen. Und so packe ich meine Koffer und unterschreibe einen Arbeitsvertrag in Nürnberg. Danach in Weissach. Danach in Österreich. Das ist zwar lästig, aber notwendig. Doch nun ist so einiges ins Rollen gekommen. Und vielleicht, denke ich im Zug nach Hause, ändert sich etwas. Vielleicht kann ich irgendwann nicht nur zu wohlmeinenden Journalisten, sondern auch zu fremden Menschen unbefangen von damals sprechen. Dann könnte ich arbeiten, wo ich wohne.
    Das wäre doch schön.

Der Hase ist gegessen, und mich plagen Bauchkrämpfe.
Dieses Mal führt mich Adam G. gar nicht erst hinaus. Er reicht mir eine Blechdose. Da soll ich reinmachen. Als ich fertig bin, nimmt er die Dose und wirft sie aus dem Wohnwagen. Das Hasenfell schmeißt er hinterher. Die ganze Zeit über redet er auf mich ein. Als wenn ein Staudamm in ihm gebrochen wäre. Fragen über Fragen. Es fällt mir schwer, sie zu beantworten. Vor allem die nach meinen Eltern.
    »Was macht dein Vater?«, will er wissen. Ich müsste antworten, was geht dich das an, du furchtbares Ungeheuer, bring mich zurück zu meinem Papa! Aber ich versuche, wie ein Erwachsener zu denken, und daher muss ich auch wie ein Erwachsener antworten. Ein Erwachsener sagt, was Sache ist. Also antworte ich wahrheitsgemäß: »Er ist Schlosser.«
    »Und deine Mutter?«
    »Sie ist zuhause.«
    »Immer?«
    »Früher hat sie als Kellnerin gearbeitet.«
    »Schlagen sie dich?« Adam G. sieht mich mit großen Augen an, anders als sonst. Sonst sind sie klein und zusammengekniffen. Bevor ich antworten kann, fragt er gleich nochmal: »Schlagen sie dich?« Es scheint ihm wichtig zu sein. Vielleicht hört er selbst damit auf, wenn ich »Nein« sage? Ich kann reinen Gewissens »Nein« sagen, denn meine Eltern schlagen mich nicht. Erwachsene müssen sich beherrschen können. Doch bevor ich alle Worte richtig zusammenhabe, fragt er mich erneut, ob meine Eltern mich schlagen. Dieses Mal klingt er sehr ungeduldig. Dieses Mal klingt er danach, als ob er sich nicht mehr lange beherrschen kann.
    Ich schüttle den Kopf. »Nein«, sage ich.
    Darüber denkt er eine Zeit lang nach. Dann fragt er: »Wo wohnst du?« Mir ist, als hätte ich einen Stromstoß bekommen. Adam G. weiß nicht, wo ich wohne. Er weiß nicht,

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