Schockgefroren
bin ich in einer Gesamtschule und habe einen Freund, der Michael heißt. Michael und ich sind Ninjas, tapfere japanische Krieger, die sich so schnell bewegen können, dass man ihre Schatten nicht sieht. Wir haben uns Wurfsterne gekauft, wie Ninjas sie tragen, und wo immer wir sind, werfen wir sie gegen Holzwände und Bäume. Wir übertrumpfen uns in der Treffsicherheit. Da wir so schnell sein wollen wie Ninjas, gehen wir niemals, sondern rennen. Wir rennen überallhin, weil wir in unserer Fantasie ständig verfolgt werden. Ninjas werden immer verfolgt, das wissen wir, wir haben alle Comics. Wir sind Ninjas, sind draußen beim Spielen, aber jetzt muss ich nach Hause. Da sagt Michael: »Pass auf, wenn du heimgehst.«
Ich bin ein furchtloser Kämpfer, doch auf einmal ist mir unheimlich zumute. Ich frage: »Warum sagst du das? Willst du mir Angst machen?«
»Pass auf«, wiederholt Michael nur. »Die Dämonen sind überall.«
Und dann bin ich auf dem Weg nach Hause, und ich renne, nicht weil ich ein Ninja bin, sondern weil ich tatsächlich furchtbare Angst habe. Denn da ist ein Schatten, wie damals im Wintersturm, und er verfolgt mich. Ich renne schneller. Ich renne so schnell mich meine Beine tragen, ich breche durch Gebüsche und springe über Zäune. Ich kenne alle Schleichwege und alle Abkürzungen, aber mein Verfolger lässt sich nicht abschütteln. Als ich vor unserem Haus ankomme, hat er mich eingeholt. Ich drücke wie wild auf die Klingel, als er nach mir greift. Die Tür öffnet sich, ich stürze ins Haus und wild schreiend die Treppe hoch. Mein Vater steht oben. Er ruft: »Um Himmels willen, Sascha, was klingelst du wie verrückt, sei doch etwas leiser!« Aber ich brülle: »Papa, es kommt, mach die Tür zu, mach die Tür zu!« Ich laufe an ihm vorbei, und mein Papa will die Tür zumachen, aber da wirft sich etwas von außen dagegen. Mein Papa flucht, weil ihm die Tür gegen den Kopf knallt, und er muss seine ganze Kraft aufbringen. Endlich fällt sie ins Schloss. Papa dreht sich zu mir um und sieht mich an, wie ich schwitzend und zitternd vor ihm stehe.
»War nur ein Windstoß«, sagt er lächelnd, aber ich glaube ihm nicht.
Etwas will mich.
Etwas will mich, und es lässt sich nicht davon abbringen.
Bevor der Teufel kochen kann, muss er den Hasen schlachten.
Bevor er den Hasen schlachtet, muss er den Holzofen anheizen. Bevor er den Holzofen anheizt, muss er das mit dem Pimmel tun. Ich wehre mich nicht gegen den Pimmel, ich liege einfach nur da und sehe dem Hasen zu, wie er tot ist. Ich stelle mir vor, wie schön es sein kann, wenn man tot ist. Sicher ist es dann ganz still. Keiner stöhnt und grunzt wie ein Schwein.
Endlich hat der Pimmel bekommen, was er wollte. Jetzt brennt das Holz im Ofen, und der Teufel schlachtet den Hasen. Er schlitzt ihn auf und zieht ihm das Fell ab. Er wirft es in die Ecke. Er holt was aus dem Hasen raus. Er schneidet ihn in kleine Stücke. Er hat nur einen Topf, da wirft er die Stücke rein. Er hat kein Wasser im Wohnwagen, also muss er noch mal raus. Er geht raus, und ich sitze auf dem Bett und rühre mich nicht. Mein Popo brennt. Kalte Luft kommt herein, und ich friere. Ich weiß nicht, ob ich Hunger habe, ich weiß nicht, ob ich toten Hasen essen will, aber ich nehme mir vor, nichts zu sagen. Ich werde nicht sagen, ich mag keinen Hasen, so wie ich gesagt habe, ich mag keine Zwiebeln. Ich werde erwachsen tun und zeigen, wie gut mir toter Hase schmeckt. Der Teufel kommt zurück und bringt Wasser mit. Ich weiß nicht, wo er es herhat, und ich weiß auch nicht, woher der Hase stammt. Es dauert ewig, bis das Wasser kocht. Dampf zieht durch den Wohnwagen. Er stochert mit einem Löffel im Topf herum. Ich sitze auf dem Bett und schaue zu.
Auf einmal fragt er: »Gehst du zur Schule?«
Ich bin verwirrt und weiß nicht, was ich antworten soll. Der Löffel rührt durch den Topf und macht ein hässliches metallenes Geräusch. »Also, sag schon. Ja oder nein?«
Entweder Schule oder nicht?
»Nein«, sage ich. »Im Moment nicht.« Ich kann sogar jetzt noch neunmalklug sein. Aber er nimmt die Antwort für bare Münze.
»Aber sonst?«, bohrt er weiter. »Sonst gehst du doch zur Schule?«
»Ja. Das tue ich.«
»Und in einen Sportverein. Gehst du in einen Sportverein?«
Er schaut mich bei der ganzen Fragerei nicht an. Aber er scheint begierig auf Antworten zu sein.
»Ja«, sage ich. »Ich gehe auch in einen Sportverein.«
»Fußball? Spielst du Fußball?«
»Ich spiele
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