Schockgefroren
Fußball.«
Der Löffel kratzt durch den Topf und kratzt durch den Topf und kratzt durch den Topf. Der Teufel überlegt die nächste Frage.
»Spielt ihr mit Lederfußbällen?«, will er wissen.
»Ja«, sage ich. »Mit Lederfußbällen.«
»So einen wollte ich auch immer haben«, sagt er. Er nimmt ein Stück Fleisch aus dem Topf, bläst darauf, steckt es in den Mund, kaut.
»Ist fertig. Wir setzen uns aufs Bett. Du bleibst dort, ich setze mich daneben.«
Er nimmt einen Eimer, dreht ihn um, stellt den Topf darauf, gibt mir den Löffel.
»Iss«, sagt er.
Nicht: Iss, sonst setzt es was, sondern nur: »Iss.«
Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist, aber er setzt sich neben mich, ohne mich anzufassen, und sieht mir dabei zu, wie ich ein Stück toten Hasen aus dem Topf hole.
»Vorsicht«, meint er. »Kann noch heiß sein.«
Ich stecke mir das Fleisch in den Mund. Ich beiße darauf, und es fühlt sich an wie Gummi. Trotzdem habe ich auf einmal einen Bärenhunger. Der kommt aus dem Nichts, er überfällt mich geradezu, und meine Kiefer beginnen zu mahlen. Der Hase wehrt sich, wehrt sich noch im Tod, aber meine Zähne bohren sich in ihn rein, immer und immer wieder, ich werde den toten Hasen kleinkriegen! Ich werde ihn alle machen! Ich werde ihn essen, und dann werde ich erwachsen sein. Und Adam G. lacht glücklich, weil mir sein Essen so gut schmeckt. Er nimmt mir den Löffel ab, holt sich selbst Fleisch aus dem Topf, bohrt seine Zähne hinein, schmatzt laut.
Laut schmatzend sagt er: »Wie heißt du eigentlich?«
Mein Stück Hase bleibt mir fast im Hals stecken. Weil mich die Frage überrascht. Weil mir für einen Augenblick mein Name nicht einfallen will. Dann fällt er mir wieder ein, und ich sage hastig: »Sascha, Sascha Buzmann.«
Adam G. lacht wieder, holt das nächste Stück Fleisch aus dem Topf, kaut und schmatzt und schmatzt und kaut, und dann sagt er: »Sascha, hmhm. Sascha. Willst du mein Freund sein, Sascha?«
Mein Saisonvertrag in Kaprun ist beendet, und ich fahre nach Hause. Ich bin zufrieden: Das Hotel gefiel mir, die Kollegen waren nett, ich hatte keinen Stress mit dem Chef, und bezahlt wurde pünktlich, was nicht immer der Fall ist in unserer Branche. Ich nehme mir vor, bald wieder in Österreich zu arbeiten. Jetzt habe ich erst einmal ein wenig Geld in der Tasche und mir eine Auszeit verdient.
Normalerweise würde ich nun fünfe grade sein lassen, die Beine hochlegen, meine Mama und meinen Papa besuchen, bei meinen Geschwistern Kaffee trinken, mit meinen Freunden Wiesbaden, Frankfurt und Mainz unsicher machen. Obwohl man mich in der letzten Zeit häufig dazu aufgefordert hat, einfach zu tun, was ich immer tue, weiß ich, genau das ist unmöglich. Denn zuhause wartet die Regisseurin auf meinen Anruf, und wir werden zum »Ort des Geschehens« fahren. Außerdem habe ich weitergeschrieben. Die Erinnerungen purzeln nur so durch meinen Kopf. Sie stammen aus meiner Jugend, meiner Kindheit, der Zeit der Entführung, meinem Arbeitsleben; es ist ihnen völlig schnuppe, ob sie zusammenhangslos daherkommen oder in ein Zeitgefüge passen. Sie kommen mir unter der Dusche, während ich Suppen auftrage und Champagnerflaschen öffne, Wein dekantiere oder Tischwäsche abnehme. Sie fallen mir im Schlaf ein und wehen am nächsten Morgen als vage Erinnerung durch meinen Kopf. Sie stolpern durch mein Gedächtnis bei der morgendlichen Frühstückszigarette, wenn ich vor dem Fernseher sitze und Fußball gucke oder einfach nur spazieren gehe. Manche der Erinnerungen halten durch, bis ich am Computer sitze, andere nicht. Die verschwinden, bevor ich sie aufschreiben kann. Einige, die bleiben, setzen mir ganz schön zu, andere können lustig sein oder sind irgendwie ballaballa. Es ist mir egal, ich werte nicht, das habe ich von den Reportern gelernt. Die fragten mich Löcher in den Bauch, ohne meine Antworten zu beurteilen. Sie haben sie einfach aufgenommen, und das lernte ich zu schätzen. Im Grunde genommen tue ich dasselbe: Ich schreibe auf, was kommt, ohne groß darüber nachzudenken. Ich habe keine Pläne mit meinen Erinnerungen. Ich habe nur das Gefühl, dass es mir guttut, wenn alles schwarz auf weiß niedergeschrieben wird.
Selbst jetzt im Zug kommen Erinnerungen. Während draußen die Landschaft vorbeigondelt, fällt mir plötzlich das Hotel in Bad Schwalbach ein. Dort unterschreibe ich 2008 einen Jahresvertrag, der mir monatlich 1.200 Euro einbringt. Viel ist das nicht für die ewig langen Arbeitszeiten,
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