Schockgefroren
Gefühl, es gibt noch eine Menge zu erzählen.
Worauf du wetten kannst, denke ich. Aber das behalte ich für mich. Laut sage ich: »Im Moment fühle ich mich nicht danach, glauben Sie mir.« Aber weil ich der höfliche, zuvorkommende und liebenswürdige Sascha Buzmann bin, den die Jahre in großen Hotels genauso prägten wie die Monate seiner Gefangenschaft, füge ich hinzu: »Das hat nichts mit Ihnen zu tun. Ich bin nur sehr erschöpft.«
So fühle ich mich. Im selben Moment, als der Anrufer von einem Film redet, fühle ich mich schon ausgelaugt. Gerade war ich noch bester Dinge und schnippelte fröhlich Gemüse, und auf einmal kommt es mir vor, als hätte ich einen Marathonlauf hinter mich gebracht.
Der Mann am anderen Ende der Leitung versichert mir, dass wir nichts überstürzen müssen. Aber vielleicht können wir uns mal treffen? Die Frage kommt mir bekannt vor, offenbar arbeiten alle Journalisten nach diesem Schema. Dagegen spricht nichts, nur nicht heute, nur nicht jetzt, und das liegt nicht an meinem Plan, einen Schmorbraten zuzubereiten, sondern daran, dass mich auf einmal die Schlafkrankheit am Wickel hat oder etwas mit ähnlichen Symptomen.
Trotzdem sind an diesem Tag bereits die Würfel gefallen. Möglicherweise gab den Ausschlag, dass die Filmproduktion in Wiesbaden beheimatet ist. Oder der Satz, es gibt noch eine Menge zu erzählen. Oder mein Gespräch mit Michaela zeigte Wirkung. Weil ich mich zu diesem Zeitpunkt in Therapie befand, ohne es zu wissen. Meine Therapie begann mit der Arbeit am Artikel im Nachrichtenmagazin. Sie ging weiter, als wir den ersten Film drehten. Und sie ist noch nicht zu Ende. Trotzdem bitte ich den Regisseur um Bedenkzeit.
Die Müdigkeit in mir fühlt sich an, als habe mich einer von der Lebensbatterie getrennt. Einfach den Stecker gezogen.
Ich lege auf, ohne mir den Namen des Regisseurs zu notieren. Zum Glück denke ich daran, den Herd in der Küche auszuschalten. Im Schlafzimmer falle ich aufs Bett. Ich ziehe mir die Decke über den Kopf, winkle die Beine an, und mein letzter Gedanke vor dem Einschlafen ist: wie in der Kiste. Du liegst im Bett wie in der Kiste.
Die Kiste ist kaputt.
Es ist furchtbar kalt geworden, und selbst Adam G., dem die Minustemperaturen weniger ausmachen als mir, beginnt zu frieren. Ich traue mich nicht zu sagen, wenn du nicht endlich den Ofen anmachst, bist du nicht mehr mein Freund. Adam G. will zwar in meine Bande, aber das hat ihn nicht daran gehindert, eben seine Hose auszuziehen und mir mit seinem Pimmel wehzutun. Noch immer laufen mir die Tränen herab, und anders als sonst ist Adam G. nicht zufriedengestellt. Sonst schläft er danach meistens ein, jetzt läuft er durch den Wohnwagen wie ein gefangenes Tier; hin und her, hin und her, und immerzu zischt er mich an.
Ich soll endlich still sein. Ich soll aufhören mit Heulen. Sonst kracht’s heute noch gewaltig im Karton.
Entweder.
Oder.
Ich trockne mein Gesicht an der Decke ab. Selbst meine Tränen gefrieren, so kalt ist es. Am Fenster, das außen mit Brettern vernagelt ist, sind Eisblumen. Adam G. läuft hin und her, und dann rennt er auf einmal nach draußen, aber kommt gleich wieder zurück.
»Kein Holz«, sagt er. »So ’ne Scheiße.«
Er flucht vor sich hin, will gar nicht mehr damit aufhören. Auf einmal fällt sein Blick auf die Kiste. Dann fällt sein Blick auf mich, und ich denke, nein, nicht das! Jetzt nicht in die Kiste, es ist zu kalt, ich werde erfrieren. Ich bin sicher, Adam G. will irgendwohin, wo es wärmer ist, und vielleicht kommt er nicht mehr zurück. Während ich in der Kiste stecke. Nein! Nein! Nein!
Aber das ist es nicht. Adam G. will nicht weg. Er denkt über etwas nach, wälzt ein Problem, aber ich weiß nicht, was in seinem Kopf vorgeht. Auf einmal hebt er seinen Fuß und tritt gegen die Kiste, als ob sie eine Ratte ist. Genau wie die Ratte tritt er die Kiste, und genau wie die Ratte geht sie kaputt. Adam G. trampelt auf der Kiste herum, und für einen Augenblick denke ich, er ist wahnsinnig geworden. Dann verstehe ich, was er tut. Er stampft mit beiden Füßen auf die Kiste, bis sie aus kleinen Holzstücken besteht. Die nimmt er und steckt sie in den Ofen. Er stopft Müll hinein und versucht, ein Feuer zu entfachen. Es qualmt wie blöd, der Rauch beißt mir in den Augen, ich muss husten. Auch Adam G. hustet und flucht noch mehr, er tritt gegen den Ofen, was das Feuer nicht besser brennen lässt. Kleine grüne Flammen lecken über den Müll, es stinkt
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