Schockgefroren
Schmutz in die Schnitte geriet, muss ich nach dem Krankenhaus in die Rehaklinik Bad Homburg. Dort werden meine Bänder gedehnt und gestreckt, und vor allem wird mein Gesicht behandelt: Mit einem Laser werden die Narben verbrannt. Als neue Haut kommt, wächst der Schmutz mit heraus. Das tut höllisch weh, dafür verliert Frankensteins Fratze von Tag zu Tag an Konturen, und das Gesicht von Sascha Buzmann kehrt zurück. »Wunder der Medizin!«, juble ich. Und habe noch mehr Grund zur Freude, als ich zum ersten Mal ohne Krücken in den Speisesaal humple. Dort fangen alle an zu klatschen. Auch die Leute mit den Schlaganfällen, die selbst wieder gehen möchten, klatschen mit. »Nicht umfallen«, rufen sie, »immer schön standhaft bleiben.«
Ich falle nicht um. Ich bleibe standhaft. Irgendwann kann ich wieder gehen wie früher. In meinem Gesicht bleiben ein paar Narben, aber sie schrecken das weibliche Geschlecht nicht ab. Erdogan dagegen hat Metallplatten im Kopf. Er hat das Gedächtnis verloren und ist invalide.
Davon könnte ich dem Bundeswehrarzt erzählen, als er nach meinen Narben fragt, aber ich lasse es sein. Ich bin der Meinung, es wird auch so reichen, aber darin soll ich mich täuschen. Als ich kurz darauf den Musterungsbefehl erhalte, lese ich: T 3. T 3 heißt auf gut Deutsch, mit dem Kerl ist der Feind zwar nicht im Alleingang aufzuhalten, aber er ist durchaus in der Lage, für Deutschland seine Pflicht zu tun. Meine schöne Strategie ging nach hinten los. Aber ich bin alles andere als »antriebslos« und zeige jede Menge »Eigeninitiative«. Ich rufe im Kreiswehrersatzamt an.
»Ich will einen Antrag auf Neumusterung stellen«, sage ich.
Zu dieser Zeit, Mitte der 90er-Jahre, steht die Bundeswehr bei meinen Altersgenossen nicht hoch im Kurs. Sicher muss man sich auf dem Kreiswehrersatzamt eine Menge blöder Ausreden gefallen lassen. Doch den Wunsch, einen Antrag auf Neumusterung zu stellen, hört man selbst dort nicht alle Tage.
»Was wollen Sie?«, fragt der Beamte ungläubig.
Ich erkläre es ihm. Ich erzähle ihm etwas, von dem er nichts wissen kann, weil ich darüber schweige wie ein Grab. Doch jetzt habe ich meine Gründe und öffne behutsam den Deckel des Verlieses. Ich mache ihn nur einen winzigen Spalt auf. »Ich bin ein Entführungsopfer«, sage ich. »Ein Sexualtäter hat mich wiederholt vergewaltigt.«
Ich will T 5 eingestuft werden. Ich will ausgemustert sein. Ich will nicht zur Bundeswehr. Und es ist keine Drückebergerei. Um ehrlich zu sein, habe ich eine Scheißangst vor der Bundeswehr.
Ich sage zum Beamten: »Es wäre nicht gut, mich monatelang mit irgendwelchen Männern einzusperren.«
Manchmal, wenn Adam G. schläft,
stehe ich ganz vorsichtig auf. Ich bewege mich wie in Zeitlupe, damit er ja nicht aufwacht. Tut er das, wird er nach mir greifen. Es dauert ewig, bis ich über ihn hinweg gestiegen bin. Manchmal wirft er sich im Schlaf herum und knurrt was. Seine Hand liegt auf seinem Pimmel. Ich bin froh, dass ich den nicht sehen muss. Ich hasse seinen Pimmel. Immerzu muss er was mit seinem Pimmel machen.
Habe ich es geschafft, bis zum Rand des Bettes zu kommen, kann ich nicht gleich meine Füße auf den Boden setzen. Ich weiß schließlich nicht, ob in der Zeit, in der Adam G. mir seinen Pimmel reinsteckte, Ratten in den Wohnwagen kamen. Ich kann nicht gleichzeitig den Türspalt überwachen und das tun, was Adam G. verlangt. Es kann also durchaus sein, ich setze meine Füße auf den Boden, und schon rast eine Ratte aus dem Müll und frisst mir die Zehen ab.
Deshalb muss ich doppelt vorsichtig sein. Umsichtig muss ich sein. Meine Augen wandern in jeden Winkel des Wohnwagens. Ich versuche, meinen Blick durch den Müll unterm Tisch zu bohren, denn genau dort muss ich hin. Hinterm Tisch ist ein Spalt in der Wand, und er ist mein Ziel. Wenn Adam G. schläft, kommt für mich die Gelegenheit, mich auf zum Spalt zu machen. Wenn ich mein Auge dagegen presse, kann ich sehen, was draußen passiert. Da ist einiges los! In ein paar Hundert Metern Entfernung vom Wohnwagen führt eine Treppe aus dem Boden direkt in den Himmel. Auf der Treppe sind immer Leute unterwegs; sie gehen hinauf, sie gehen hinab. Ich frage mich, weshalb sie den Wohnwagen nicht beachten, ich frage mich, warum sie mich nicht schreien hören. Aber die Leute auf der Treppe wenden nie den Kopf. Sie blicken starr geradeaus, zumindest scheint es so, genau kann ich es nicht erkennen, dazu sind sie dann doch zu weit entfernt. Ich
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