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Schockgefroren

Schockgefroren

Titel: Schockgefroren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Buzmann
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erkennen, tummelten sich darin. Jürgen rief sofort, nie wieder trinke ich Wasser, mit all den Ekelsachen drin, und die Lehrerin musste ihn beruhigen: Das Wasser für dieses Experiment steht seit Tagen an einem warmen Platz. Nur deshalb seien diese Lebewesen drin. In frischem Wasser gibt es sie nicht, daher können wir alle unbesorgt aus dem Hahn trinken, nur nie aus Pfützen. Da war auch Jürgen wieder beruhigt. Daran muss ich denken, weil sich in Adam G. auch kleine Wesen befinden, die von außen nicht zu sehen sind. Sie sorgen für seine komischen Launen. Er ist halt auch abgestanden, denke ich und muss beinahe lachen, das erste Mal, seit ich hier bin. Wenn man seinen Bart und seine Haare anschaut, sieht man, wie abgestanden er ist. Adam G. ist ein abgestandener Stinkstiefel.
    Jetzt muss ich doch lachen und halte mir erschrocken die Hand vor den Mund. Wir sind im Wohnwagen, ich habe meinen üblichen Platz auf dem Bett bezogen. Adam G. fuhrwerkt herum, räumt Sachen hierhin und dorthin, ohne im Geringsten für Ordnung zu sorgen. Jetzt fährt er auf und funkelt mich giftig an.
    »Gibt’s was zu lachen? Lachst du über mich?«
    Eingeschüchtert schüttle ich den Kopf, schweige, warte seine Reaktion ab. Alles ist möglich. Adam G. steht vor mir, seine Arme hängen herab, baumeln hin und her. So steht er oft da. Er sagt: »Da gibt’s auch nichts zu lachen. Bei mir gibt’s nichts zu lachen.«
    Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Häufig passiert was, wenn er auf diese Weise dasteht. Er ist wie ein Kartenhaus, das plötzlich einstürzen kann. Dann verliert er die Nerven und schlägt in die Luft. Oder mich, wenn ich in Reichweite bin. Ich fürchte, es ist gleich wieder so weit, und deshalb sage ich laut: »Wo kommst du eigentlich her, Adi?«
    Meine Stimme klingt rau, aber ich bin froh, dass ich die Frage herausbringe. Seine Arme hören auf, hin und her zu baumeln, sein Blick verliert den starren Ausdruck.
    »Aus Mainz«, antwortet er. »Warum willst du das wissen?«
    Einer, der in die Nachbarschaft zieht und den keiner kennt, der sich fremd vorkommt, aber mitspielen möchte, fragt so etwas nicht: Warum willst du das wissen? Wir können nur Neue in unsere Bande aufnehmen, wenn wir Antworten haben. Das wissen die Neuen und geben sich nicht wortkarg. Ich stelle mir vor, Adam G. würde in unsere Bande wollen – die Vorstellung fällt mir nicht leicht –, und überlege mir, wie meine Freunde und ich ihn ausfragen würden.
    »Hast du Geschwister?«, fange ich an.
    »Einen Bruder. Der ist in Amerika.«
    »Wow, Amerika«, sage ich und meine das auch so: Amerika ist wow. Amerika ist das Land, aus dem meine Masters-of-the-Universe-Figuren kommen. He-Man stammt von dort, er ist ein Held. Amerika ist das Land der Helden. Jetzt will ich mehr wissen.
    »Wo in Amerika? Was macht er?«
    Adam G. zuckt mit den Schultern. »Keine Ahnung. Hab nichts mehr von ihm gehört, seit er weg ist.«
    »Wie lang ist das her? Warum rufst du nicht an?«
    Adam G. gibt keine Antwort. Das Schweigen wird drückend. Ich denke fieberhaft nach, dann fällt mir noch eine Frage ein: »Wo bist du zur Schule, Adi?«
    »He, mal langsam«, antwortet er. »Was wird denn das? Frag nicht so viel. War nicht lange in der Schule. Schule war nix für mich.«
    Es ist nicht einfach, sich mit Adam G. zu unterhalten. Seine Antworten sind eigentlich gar keine Antworten. Ich überlege, was ich noch fragen könnte, denn solange er redet, schlägt er mich nicht. Oder macht die anderen schlimmen Dinge. Eine Frage fällt mir noch ein.
    »Wo sind deine Eltern?«
    Wieder hat er nur eine Antwort, die keine ist: »Wurde schlecht behandelt. Hab nie was zu essen gekriegt.«
    Mehr fällt mir nicht ein. Wieder Schweigen. Dann sagt Adam G.: »Das war wirklich schlimm.«
    Ja, Hunger ist schlimm. Ich habe auch Hunger. Ich habe sogar Riesenhunger, und ich weiß nicht, was von meinen dreißig Kilogramm noch übrig ist. Auf die ich mal so stolz war. Noch schlimmer als Hunger ist Durst; auch jetzt ist mein Mund so ausgetrocknet, dass ich kaum die Worte herausbringe. Vielleicht platzt es deshalb aus mir raus: »Ich habe auch Hunger. Und Durst! Du behandelst mich schlecht! Du bist gar nicht mein Freund!«
    Das sage ich schneller, als ich denken kann. Sonst hätte ich mich das nicht getraut. Doch jetzt ist es draußen, und ich kann es nicht mehr rückgängig machen. Ich kann nur hoffen, dass Adam G. nicht ausflippt. Und ist es nicht die Wahrheit? Auf einmal höre ich mich trotzig sagen: »Wenn du

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