Schockgefroren
dass ich ohne Weiteres umarmt und geküsst werden kann und, kurz gesagt, alles bei mir ganz normal erscheint. Schon reden wir von Heirat, als sich in mir eine seltsame Unruhe ausbreitet. Sie fühlt sich ähnlich an, wie wenn ich heute zu lange in einem Job stecke. Obwohl es keinen Grund dafür gibt, trenne ich mich von Kirstin. Von da an habe ich eine Flut wechselnder Freundinnen. Immer wieder höre ich von ihnen nach einer Weile, du hast aber wirklich ein paar seltsame Macken. Nichts Beunruhigendes, aber auch nichts, über das sie wegsehen wollen: So bin ich manchmal bestens drauf, aber im nächsten Augenblick schlecht gelaunt. Oder wir gehen aus, und ich muss unbedingt wissen, wer kommt und wohin wir gehen. Irgendwann merke ich: Am besten funktioniert es mit mir und den Freundinnen, wenn ich sie nicht allzu nahe an mich ranlasse. Je länger aber eine Beziehung dauert, desto schwieriger wird das. Es geht schon gar nicht, wenn man über Hochzeit nachdenkt. Die wird bei fast jeder Freundin zum Thema, doch den entscheidenden Schritt wage ich nicht.
Den kann ich nicht wagen.
Trotzdem habe ich zu Frauen ein besseres Verhältnis als zu Männern. Was waren das noch für Zeiten mit der Bande! Heute aber geht mir das männliche »Mein Haus, mein Auto, mein Pferd« auf die Nerven. Warum müssen Männer solche Alphatiere sein? Es fällt mir jedenfalls leichter, eine Freundschaft zu einer Frau aufzubauen.
Michaela ist ein gutes Beispiel. Sie kommt mich besuchen, und wir kennen die Spielregeln, ohne darüber sprechen zu müssen. Ein anderer Mann würde die Spielregeln brechen wollen, ist doch so? Wie dem auch sei, sie wird bei mir übernachten, aber es ist kein Date. Michaela sucht keine Beziehung und ich auch nicht. Dafür haben wir uns unendlich viel zu sagen. Dabei ist nicht unsere Vergangenheit das Wichtigste. Was wir darüber wissen müssen, haben wir schon am Telefon geklärt. Michaela ist mehr an der Gegenwart interessiert und vor allem an der Zukunft.
»Was hältst du davon«, fragt sie mich, »wenn du in die Schweiz kommst? Wenn du bei uns mitmachst?«
»Ist das dein Ernst?«
Michaela lächelt. »Ich habe nie etwas ernster gemeint.«
Ich weiß nicht, wie lange ich schon hier bin.
Die Tage kommen und gehen, die Nächte kommen und gehen. Es ist nicht mehr so kalt, und das ist gut so, denn Holz zum Verfeuern ist Mangelware. Alles andere auch, aber ich muss wenigstens keinen Hunger mehr leiden. Ab und zu gibt’s Hase oder Huhn, oder Adam G. schleppt ein paar Konserven heran. Schlimm ist, dass ich jedes Mal, wenn er »einkaufen« geht, in den Spalt muss. Kommt er zurück, schauen wir Fernsehen. Morgens sage ich »Guten Morgen«, abends sage ich »Gute Nacht«. Adam G. gefällt das. Einmal sagt er, zu ihm habe nie einer »Gute Nacht« gesagt.
Seit der Engel da war, passieren die schlimmen Dinge weniger häufig. Ich weiß nicht, warum, aber irgendwie passt es Adam G. nicht in den Kram, wenn ich ihm vorlüge, die Dinge, die er mit mir anstellt, würden mir gefallen. Einmal gelingt es mir, ihn davon abzuhalten, indem ich es vorher sage. Danach überlege ich mir sogar, ob ich ihn nicht dazu bringen kann, mich gehen zu lassen. Allerdings sagt er auch ständig, wie toll er es findet, dass ich bei ihm bin. Er fragt mich, was ich im Fernsehen anschauen möchte, und eines Tages kommt er mit einem Malblock und Buntstiften.
»Weißt du, wie man einen Dinosaurier malt?«, fragt er.
Ich weiß, wie man einen Dinosaurier malt, aber ich habe etwas gelernt, seit ich hier bin: Erwachsene wollen nicht die Wahrheit hören. Also sage ich: »Nein, keine Ahnung.«
Adam G. ist ganz aus dem Häuschen. »Ich zeig’s dir«, sagt er. Er wischt den Tisch ab, der bisher nie abgewischt worden ist, und räumt den Müll darunter zur Seite, damit wir uns setzen können. Er nimmt den Stift und zeichnet einen verwackelten Dinosaurier.
»Es gibt die, die Pflanzen fressen«, erklärt er. »Und die, die Fleisch brauchen. Dann gibt es Dinosaurier, die durch die Luft fliegen, mit Riesenflügeln, größer als Vögel. Im Wasser gibt’s welche, aber die sieht man nicht. Das hier ist ein Brontosaurus. Der frisst Pflanzen.«
Er malt einen zweiten und einen dritten Saurier, dann gibt er mir den Stift. Jetzt male ich einen Dinosaurier. Meiner hat ein Riesenmaul mit spitzen Zähnen, und Adam G. gefällt das.
»Ein Tyrannosaurus Rex«, sagt er. »Das sind die gefährlichsten.«
Deshalb male ich ihn. Ich würde gerne ein Tyrannosaurus Rex sein, denn dann
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