Schockgefroren
zünden. Ich habe das Gefühl, überall auf Widerstand zu stoßen, ich habe das Gefühl, dass es mich am Ende doch gekriegt hat, dieses Ding, das mich seit meiner Kindheit verfolgt. Um mich herum richten sich Mauern auf, die sind so hoch, dass ich sie nicht überwinden kann. Schlimmer noch: Ich kann nicht einmal über sie hinwegsehen.
Nach ein paar Minuten kehrt Adam G. zurück.
Er sieht, wie ich auf dem Bett kauere, und fragt: »Alles okay? Willst du was?«
Ich traue meinen Ohren nicht. Wie war das? Hat er gefragt, ob ich etwas möchte ? Bevor ich länger auf diesem Rätsel herumkaue, höre ich mich sagen: »Ich will fernsehen.«
Zuhause schaue ich nicht viel fern. Aber zuhause ist weit weg und vielleicht gar nicht mehr da. Außerdem ist mir schrecklich langweilig. Wenn ich nicht herumrennen kann und auch sonst nichts zu tun ist, will ich wenigstens fernsehen. Ich beobachte die Reaktion von Adam G. Bisher habe ich ihn dazu gebracht, dass er mir zu essen gibt. Es ist mir gelungen, vor die Tür des Wohnwagens zu kommen, wenn auch nur kurz. Ich habe es nicht geschafft, dass er aufhört, die schlimmen Dinge mit mir anzustellen, aber vielleicht richtet die Lüge ja was aus. Eine erste erstaunliche Reaktion zog sie schon nach sich. Und jetzt mal sehen, wie es um den Fernseher steht. Denn um fernzusehen, braucht man ein Gerät. Adam G. hat keines. Adam G. hat gar nichts.
Er steht wieder auf seine seltsame Art im Wohnwagen, wie immer, wenn ihm etwas durch den Kopf geht. Sie gefällt mir nicht, weil meistens etwas passiert. Wenn was passiert, tut es in der Regel weh. Das soll auch jetzt nicht anders sein. Adam G. packt mich. Dort, wo die Rückseite eines Kastens fast die Wohnwagenwand berührt, entdecke ich einen schmalen Spalt. Ich weiß sofort, was mir blüht: Es ist die neue Kiste. Und sie ist schlimmer als die alte Kiste, weil ich darin stehen muss. Ich fange an zu zappeln und wehre mich mit Händen und Füßen, als Adam G. versucht, mich in den Spalt zu drücken. Die Außenwand des Wohnwagens ist eiskalt.
»Wenn du einen Mucks von dir gibst«, droht er, »mach ich dir das Licht aus.«
Alles ist wie früher. Entweder oder. Aber ich will nicht in den Spalt! Nein, nein, nein! Ich fange mir ein paar Ohrfeigen ein und einige derbe Tritte, dann stecke ich im Spalt fest. Adam G. drückt mich noch tiefer hinein, bis ich mich nicht mehr rühren kann. Ich klebe geradezu an den Wänden, wie eine Fliege im Spinnennetz. Mein Mund berührt Holz, ich kann kaum Luft holen. Geschweige denn schreien.
Auf einmal ist Adam G. verschwunden. Es ist grauenvoll, wenn er da ist, aber es ist nicht besser, wenn er geht. Weil ich nicht weiß, ob er wiederkommt. Wenn er nicht wiederkommt, werde ich sterben. Erst recht jetzt, wo ich weiß, dass es keine Treppe gibt da draußen und auch keine Menschen. Alle Ängste, die ich in der Kiste hatte, kehren mit doppelter Wucht zurück. Irgendwann schlafen meine Beine ein. Die Muskeln verkrampfen. Alles tut so weh, als ob ich in Flammen stehe. Immer wieder werde ich ohnmächtig. Mein Bewusstsein kommt und geht, wie Wolken am Himmel die Sonne verdecken und wieder freigeben. Ich weiß nicht, wie viele Stunden vergehen, bis ich etwas höre. Da sind Schritte. Da ist ein Poltern im Wohnwagen. Dann erneut Schritte. Eine Hand tastet nach mir, packt mich, wuchtet mich aus dem Spalt. Ich falle zu Boden, doch die Hand will das nicht zulassen. Sie zerrt mich hinter sich her, und ich weiß, es wird aufs Bett gehen, und dann wird passieren, was immer passiert. Irgendwie schaffe ich es, auf den Beinen zu bleiben. Adam G. deutet aufs Bett. Nein, er deutet darüber. Dort steht ein kleiner Kasten.
»Ein Fernseher«, verkündet er freudestrahlend. »Sogar mit Farbe.«
Meine Schwester Doris ist eine Frau, die zupacken kann. Kurz nachdem mich das Gericht verurteilt hat, ziehen meine Eltern und ich zu ihr ins Haus. Meine Mama kocht seit geraumer Zeit in Doris’ Bistro, und meine Schwester Jenny arbeitet dort regelmäßig im Service. Nach meinem achtzehnten Geburtstag steige ich ebenfalls ein. Wir ziehen einen regelrechten Familienbetrieb auf, und das gefällt mir. Ich habe meine Familie gerne um mich, und das Kellnern macht mir Spaß. Ich stelle mir vor, wie ich nach dem Abitur den ganzen Tag hier sein kann, um mich die Menschen, die ich liebe. Was könnte besser sein? Vielleicht tue ich die nächsten fünfzig Jahre nichts anderes. Aber ich soll mich täuschen, wieder einmal. Die Sache dauert keine fünfzig Jahre, sie
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