Schockgefroren
Nein? Was ist mit Drogen?
Die Blutprobe spricht eine deutliche Sprache. Meine Karriere als selbstständiger Transportfahrer endet im Verkehrskreisel von Bingen, den Führerschein bekomme ich nicht mehr zurück. Wieder einmal muss ich mir eine Stelle als Aushilfskellner suchen.
Ich werde mein Leben lang bedienen.
»Und? Freust du dich?«,
fragt Adam G.
»Toll«, antworte ich mechanisch. »Jetzt können wir fernsehen.«
Ich kann mich kaum auf den Beinen halten, aber ich kann immer noch sagen, was Adam G. hören will. Er hat einen Fernseher besorgt so wie ab und zu einen Hasen, also will er von mir hören, dass ich mich freue. Schließlich wollte ich fernsehen. Und als mein Freund hat er mir den Wunsch erfüllt.
Danach braucht Adam G. ewig, um mit der Zimmerantenne ein paar Programme zu finden. Wir setzen uns aufs Bett und starren in die Flimmerkiste. Von nun an sehen wir uns alles Mögliche an: Quizsendungen, Spielfilme, Fußballspiele, Sendungen über Tiere. Alles, was kommt, nur keine Nachrichten. Die sind tabu. Einmal drücke ich auf den Knöpfen des Gerätes herum und erwische die Tagesschau. Sofort reißt mich Adam G. vom Fernseher weg.
»Lass das«, befiehlt er. »Du glaubst wohl, du kannst was über dich erfahren? Vergiss es. Keiner sucht dich. Nicht mal in den Zeitungen steht was.«
Obwohl ich auch nicht mehr glaube, dass noch jemand nach mir sucht, überkommt mich eine abgrundtiefe Traurigkeit. Währenddessen wechselt Adam G. die Programme, bis er bei einem Ratespiel hängen bleibt. Er zieht mich neben sich aufs Bett.
»Deine Eltern«, sagt er, »haben dich längst vergessen.«
Ich bin happy, denn ich habe mich hingesetzt und vieles aufgeschrieben: meine missglückte Karriere als Drogendealer. Meine missglückte Karriere als Tofufahrer. Und die Zeit dazwischen. Ich habe es in Stichworten formuliert, und in meiner Situation ist das ein großer Schritt nach vorne: die Dinge festzuhalten, weil sie die Neigung besitzen, sich zu verflüchtigen. Alles verflüchtigt sich bei mir: Job, Geld, Freundinnen, Erinnerungen. Vielleicht bleibt jetzt mal was erhalten. Den Versuch allein war es schon wert.
Ich bin auch happy, weil Michaela kommt. Meine Wohnung ist geschniegelt und gestriegelt wie ein Pudel beim Schönheitswettbewerb. Der Kühlschrank ist voll, der Wein kalt gestellt. Obwohl ich weiß, dass wir keine Verabredung im eigentlichen Sinne haben, bin ich nervös. So nervös bin ich nie, wenn sonst eine Freundin meine Wohnung betritt. Und das passiert häufiger, je älter ich werde.
Nach der Entführung zeige ich auf diesem Gebiet keinerlei Auffälligkeiten. Wie jeder meiner Kumpels interessiert mich eines Tages das andere Geschlecht. Obwohl ich mehr weiß, als ein Junge in meinem Alter wissen darf, gehe ich genauso unbedarft und schüchtern wie alle anderen an die Sache ran. Irgendwann vergucke ich mich in ein Mädel aus der Nachbarschaft, und wir gehen miteinander, ganz offiziell, mit Händchenhalten! Dann, ab der achten Klasse, stelle ich fest, dass Mädchen eigentlich doch ziemlich doof sind. Meine Kumpels stellen das Gleiche fest. Von da an ist uns klar: Wir bleiben besser unter uns, denn in unserer Bande ist kein Platz für diese Küken und beim Tischtennis, beim Judo und beim Fußball auch nicht. Unser Leben wird mädchenlos, und bei mir bleibt das so, bis ich siebzehn Jahre alt werde. Da komme ich aus der Rehaklinik in Bad Homburg zurück, und mein Gesicht sieht aus, als sei ich übel auf die Fresse gefallen. Ich setze mich im Schülerbus ganz nach hinten. Da sitzt aber schon jemand. Ein Mädchen. Und jeden Tag ist der Platz neben ihr leer. Es dauert trotzdem einige Fahrten, bis ich genug Mut gesammelt habe, um zu fragen: »Ist bei dir noch frei?«
Wie es der Zufall will, ist der Platz noch frei! Kirstin ist süß, Kirstin ist intelligent, und Kirstin weiß, wie man den Muffel mit der Kappe tief im Gesicht in ein Gespräch vertieft, obwohl es früh am Morgen ist und er schon einen Joint geraucht hat. Aus unseren Gesprächen wird mehr. Irgendwann schlafen wir miteinander. Da hat sie mehr Erfahrung als ich; oder anders gesagt, meine Erfahrungen sind im Verlies eingekerkert und ohnehin nicht zu gebrauchen. Es ist schön mit Kirstin, ich blühe geradezu auf. Ihr ist egal, dass ich »eine Geschichte habe«; sie weiß davon, weil sie aus demselben Ort stammt. Am Anfang stellt sie einige Fragen der unschuldigen Art, doch merkt sie bald, dass ich nicht darüber sprechen möchte. Da wundert sie sich noch,
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