Schockgefroren
dauert nicht einmal fünfzig Tage. Dann gibt es Streit zwischen meinen Eltern und Doris. Es geht um das Auto meines Papas, das zum Firmenwagen umfunktioniert wurde. Mit anderen Worten, es geht um Geld. Oder darum, wer das Sagen hat. Vielleicht geht es auch nur um Kaisers Bart. Jedenfalls ist Doris derart aufgebracht, dass sie Mama kündigt. Und mir gleich mit. Jetzt wohnen wir in ihrem Haus und gehen uns aus dem Weg. Super! Kaum eingezogen, steht der nächste Umzug an. Ich könnte kotzen.
Was mir von der Episode bleibt, ist die Gewissheit, als Kellner ein Auskommen finden zu können. Ich habe ein Talent für den Beruf. Und so werde ich die nächsten Jahre immer wieder Aushilfsjobs im Service annehmen. Nie länger als ein paar Wochen, aber immer lange genug, um ein paar Euros in den Taschen zu haben. Ich muss zugeben, als Drogendealer war das Geldverdienen leichter. Doch die Zeiten sind vorbei. Ab jetzt gibt es für mich nur noch ehrliche Arbeit. Und wenn ich ein Leben lang bedienen muss.
Als ich nach der Ausbildung feststelle, dass mein Lehrberuf nicht das Richtige für mich ist, denke ich darüber nach, eine Festanstellung als Kellner zu suchen. Oder gibt es doch was anderes für mich? Der Kumpel eines Kumpels hat einen Tipp: Ein Weinhändler in Bingen am Rhein sucht einen freiberuflichen Verkäufer, der den Leuten im Ruhrpott die Freuden des Weingenusses nahebringt. Ich rufe den Weinhändler an und frage nach den Bedingungen: Bezahlung nach Provision, heißt es, der Standort sei Bochum.
»Kennen Sie sich aus mit Wein?«, fragt der Händler.
»Ich habe im Service gearbeitet«, antworte ich, »außerdem bin ich ein guter Verkäufer.«
Klingt gut genug in seinen Ohren. Der Job gehört mir, und ich starte als Weinhändler im tiefen Westen. Eine Zeit lang läuft die Sache gar nicht schlecht. Dann werde ich ungeduldig. Ich würde gerne mehr verkaufen! Ich würde gerne mehr verdienen! Und überhaupt würde ich gerne was anderes tun, auch wenn ich nicht weiß, was es sein könnte. Und so kündige ich den Job nach einem halben Jahr Knall auf Fall und kehre nach Wiesbaden zurück. Dort wartet nichts und niemand auf mich. Ich muss bei meinen Eltern einziehen und kann nicht fassen, was ich mir da wieder eingebrockt habe. Sie können es ebenfalls nicht fassen, doch wir reden nicht über die Gründe meiner inneren Unruhe. Mein Papa fragt nur, ob ich mir jetzt was anderes suche, und das tue ich auch und werde zum König der Aushilfsjobs.
Bis 2009 wohne ich unter dem Dach meiner Eltern. In dieser Zeit verkaufe ich Frikadellen bei Nordsee, fahre Backwaren für einen Bio-Bäcker aus, kellnere hier, bediene dort. Ich habe wenig Geld in der Tasche und sehe kaum Perspektiven. Eigentlich bin ich todunglücklich. Dann, 2005, reiße ich mich nochmals zusammen und wage den Sprung in die Selbstständigkeit. Besser gesagt, in die Pseudo-Selbstständigkeit, denn ich werde Subunternehmer eines Subunternehmers in der Transportbranche. Mit einem Lieferwagen – ähnlich dem Ducato, der mich beinahe plattgemacht hat – transportiere ich alles, was man in so einem Fahrzeug durch die Lande kutschieren kann. Mein Ehrgeiz erwacht erneut, und ich schufte 75 Stunden die Woche. Ich werde nicht nach Transport, sondern nach Kilometern bezahlt, und nach den Abzügen aller Abzüge bleiben mir 1500 Euro. Das sind umgerechnet fünf Euro pro Arbeitsstunde, aber ich rechne nicht um. Ich bilde mir ein, irgendwann schon noch den großen Reibach zu machen. Ich muss mehr fahren. Zusätzliche Nachtschichten einlegen. Dabei muss ich wach bleiben, und die Joints helfen. Sie helfen auch gegen meine Einsamkeit, die mich immer wieder in Schockwellen überwältigt. Und so rauche ich eines Tages bei einer wöchentlichen Routinefahrt nach Bingen. Dort belade ich den Transporter bis unters Dach mit Tofu; das Ziel der Reise ist die Niederlassung der Spedition Dachser in Frankfurt. Kurz nach Bingen gibt es einen zweispurigen Verkehrskreisel. Als ich einbiege, fährt eine Polizeistreife an mir vorbei. Uups, denke ich, ich bin gar nicht angeschnallt. Schnell ziehe ich den Gurt über. Der Polizeiwagen gibt Gas, und ich bin mir sicher, der fährt aus dem Kreisel. Stattdessen dreht er noch eine Runde. Schon ist er wieder neben mir, mit blinkenden Lichtern. Erschrocken reiße ich am Steuer, der Transporter bricht aus und bleibt nach wenigen Metern quer zur Straße stehen. Da kommt schon einer der Polizisten herbei. Er will die Papiere sehen. Er fragt, ob ich getrunken habe?
Weitere Kostenlose Bücher