Schockstarre
sich dann links und bog beim Kongresshaus in den Rosengarten.
Wind kam auf, kalt und trocken, und kündigte neuen Schnee an. Zwischen den verschneiten Blumenbeeten wartete die Dämmerung. Katinka war ein wenig unheimlich, als sie den Park durchquerte und an der Längsseite eines der Tore suchte, die auf die Alexandrinenstraße führten. Niemand war unterwegs. Ines Pawlowicz’ Gesicht blitzte in ihrem Kopf auf, der Farmerhut des angeblichen Henryk Pawlowicz. Sie sah sich auf der Schleusenmauer sitzen und schlug instinktiv, wie zum Schutz gegen böse Mächte, den Mantelkragen hoch. In der Hecke kauerten Schatten. Jenseits fuhr ab und zu ein Auto vorbei, im Schritttempo, von der anderen Seite summten die Geräusche der Stadt zu ihr herüber, sie hörte deutlich das Wischen von Autoreifen auf nassem Asphalt. Katinka ging schneller, schob die Hände in die Manteltaschen. Ganz schlecht, meldete sich ihr Gewissen. Mit den Händen in den Taschen ist keine schnelle und damit effektive Selbstverteidigung möglich. Das lernst du in jedem Training als erstes. Sie zog die Hände wieder heraus, versuchte ohne großen Erfolg, die Finger mit ihrem Atem warmzupusten. Es ist alles in Ordnung, redete sie sich ein. Alles ist in Ordnung. Ich bin nur nervös, weil mir die Waffe fehlt.
Irgendwo begannen Kirchenglocken zu läuten, hell, fröhlich. Aus dem Dämmerlicht weiter hinten im Rosengarten löste sich ein Schatten und kam in ihre Richtung.
Sie entdeckte ein Tor im Zaun, machte ein paar Schritte auf die Straße hinaus. Ihr Atem ging schnell, jetzt trat ihr der Schweiß auf die Stirn. Die Laternen warfen mattes Licht auf die Straße. Sie sah glatt aus, und Katinka schlitterte auf die andere Seite hinüber. Ein kurzer Blick über die Schulter. Niemand folgte ihr.
Beeindruckende Villen säumten den Gehweg, ausgedehnte Gärten, alter Baumbestand. Arztpraxen hatten sich hier breitgemacht, und schließlich, von einem beleuchteten Schild angekündigt, auch die Agentur Fenering. Das Haus lag im Dunkeln, lediglich im Erdgeschoss leuchteten die Fenster hell in die Nacht.
Katinka ging den kurzen, steilen Weg bis zur Eingangstür. Über einen Bewegungsmelder schaltete sich die Außenbeleuchtung ein. Sie drückte gegen die Tür. Verschlossen.
Nachdenklich trat sie ein paar Schritte zurück, und überlegte, ob sie klingeln sollte. Ein Auto fuhr vorbei, langsam, dann beschleunigend. Katinka sehnte sich nach ihrer Pistole, noch mehr nach ihrem Auto. Am allermeisten nach einem kuscheligen Bett inklusive einer Wärmflasche. Ihre Füße mutierten zu Eisklumpen.
Ich habe hier nichts verloren, dachte sie, ich kann jederzeit und sofort heimfahren, Schilling und Kompagnons den Fall lösen lassen. Kommissar Harduin Uttenreuther hätte seine helle Freude an der gehorsamen Katinka Palfy.
Der Gedanke genügte, um sie in Rage zu bringen. Noch kannte sie den Zusammenhang zwischen ihrem Knockout und dem Mord an Mendel nicht, aber womöglich warteten die ersten Fäden hier in der Agentur Fenering, und die würde sie nun aufnehmen und sich nicht von der Winterdunkelheit und klackernden Absätzen in der hereinbrechenden Nacht aus dem Konzept bringen lassen.
Die Schritte erklangen knapp hinter ihr. Sie fuhr herum, automatisch lag ihre Hand schon am Holster. Vergessen. Da war keine Beretta.
»Hier arbeitet heute niemand mehr!«, sagte eine Frauenstimme.
Katinka ließ ihren Atem sachte durch die Zähne entweichen.
»Ach so?«, fragte sie. Der Dialekt der Frau klang ganz und gar nicht Fränkisch, er klang mehr nach jenem oft verunglimpften Singsang von jenseits des Thüringer Waldes. Anders als den meisten gefiel er Katinka außerordentlich gut.
»Die sind alle aus dem Häuschen, wegen …«, die Frau senkte die Stimme und sah sich hektisch um, »dem Mordfall.«
»Ähm«, machte Katinka. »Aber es brennt doch Licht.«
»Das ist nur die Putzfrau. Aber morgen, sehr früh, schon gegen sieben, sind die ersten wieder an Deck.«
»Woher wissen Sie das denn so genau?«
Die Außenbeleuchtung erlosch. Katinka ruderte mit den Armen, um den Bewegungsmelder zu aktivieren. Sie betrachtete ihre Gesprächspartnerin im aufflammenden Licht. Eine rundliche Frau um die fünfzig, die in ihrem zu engen Lodenmantel aussah wie in einen Teppich eingerollt. Ihr kurzes Haar stand temperamentvoll vom Kopf ab. Eine schmale, goldgefasste Brille saß vorwitzig auf ihrer Nase.
»Mein Mann arbeitet hier. Ich wollte gerade schauen, ob er noch da ist. Er geht mal wieder nicht ans
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