Schockstarre
Lächeln.
»Sehen Sie, Sie wären nicht die Erste, die auf Mendels charmantes Balzen reinfällt.«
Katinka wurde rot, lächelte dann jedoch, um Ediths Solidargefühle anzuzapfen.
»Machen Sie sich nichts draus, schließlich sind wir alle schon mindestens einmal betrogen worden. Mendel hatte mit den meisten Frauen in der Agentur was laufen«, sagte Edith Hartmann, förderte endlich ein Taschentuch zutage, schnäuzte sich und fuhr sich mit dem Finger unter den Rollkragen, als sei ihr zu warm. »Sogar mit der Frau vom Chef. Besser gesagt, der Ex-Frau vom Chef.«
Frau Hartmann redete mit Genuss. Während sie erzählte, bewegte sie Hände und Finger in einem ununterbrochenen Furioso, weniger anmutig als temperamentvoll. Beinahe stieß sie einen der Cognacschwenker um, die der Kellner auf den Tisch stellte. Wieder knisterte es verschwörerisch zwischen den beiden.
Katinka probierte von der bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Sofort stieg ihr der Alkohol zu Kopf.
»Frau Fenering?«
»Richtig. Und nicht nur mit ihr. Wie gesagt, mit den meisten.«
»Dann wäre doch Eifersucht ein plausibles Motiv.«
»Das können Sie abhaken. Sowas gibt es doch heute nicht mehr. Männer, die einen Rivalen mit einer Pistole umnieten?« Energisch schüttelte Edith Hartmann den Kopf. »Edgar, der Inhaber der Agentur, würde sowas schon gar nicht tun.«
»Nein?«
»Würde er wirklich nicht.« Edith Hartmann schleckte ihren Cognac wie Softeis. »Edgar ist doch nicht so blöd, seinen besten Texter zu erschießen. Er ist übrigens der Einzige aus der Agentur, der für die Zeit des Mordes ein Alibi hat. Soviel ist durchgesickert. Er war in Frankfurt, stand bis spät nachts mit Kunden an der Hotelbar.«
Katinka schob behutsam den Cognac in die Mitte des Tisches. Es sähe eigenartig aus, wenn sie nun ihr Notizbuch zücken und mitschreiben würde. Bleib dran, mahnte sie ihr Gedächtnis. Konzentrier dich. Mach’s wie Hardo. Der speichert auch alles in seinem Kopf.
»Ist Ihr Mann auch Texter?«
»Graphiker. Mendel und mein Mann bilden – bildeten – ein zentrales Team innerhalb des kreativen Personals, vor allem, seitdem Peter Gruschka gegangen ist. An den beiden ging kein großer Auftrag vorbei.«
Peter Gruschka, diktierte Katinka ihrem Gedächtnis. Laut fragte sie: »Wer ist das?«
»Hat Mendel Ihnen nie von ihm erzählt? Gruschka ist auch Texter. Ein guter«, fügte Edith Hartmann an. Ihr Blick verlor sich für einen Moment in dem Cognacschwenker. Dann nahmen ihre Hände die Dirigentengestik wieder auf. »Er verließ die Agentur vor nicht allzu langer Zeit, machte sich selbständig. Ganz schön mutig«, lächelte sie. »In der heutigen Zeit.«
»Ein Konkurrent für Frank?«
Katinka griff zu ihrem Kaffee, die Tasse mit beiden Händen umfassend.
»Wie man es nimmt. Jedenfalls hat er ein paar Kunden mitgenommen.«
»Geht sowas in der Werbebranche?«
»Ja, das geht. Aber Peter … Peter Gruschka arbeitete in den letzten Jahren vorwiegend als Ghostwriter. Inzwischen hat er ausreichende Kontakte, um alleine zu neuen Aufträgen zu kommen. Mendel hatte auch so ein Geisterprojekt laufen, neben einer Werbekampagne für das hiesige Landestheater.«
»Aha.«
»Udo, also mein Mann, und Mendel arbeiteten gemeinsam an dem Projekt. Es geht um die Spielzeit 2005/2006. So ein Theater muss sein Publikum neuerdings akquirieren, finanziell sieht es nicht rosig aus im Kulturbereich. Die Agentur Fenering soll für bessere Besucherzahlen sorgen. Aber nun, da Mendel nicht mehr mitmachen kann …«
»Die Agentur muss doch auch andere Texter beschäftigt haben«, wunderte sich Katinka.
»Das schon, Frau Palfy.« Vertrauensvoll beugte sich Edith Hartmann vor. »Doch wer das Zeug und die Klasse hat, ist unbezahlbar für einen Chef. Insbesondere für einen anspruchsvollen Chef. Und so einer ist Edgar Fenering.«
»Anspruchsvoll?«
»Er verlangt ungeteilten Einsatz für den Job. Es wunderte mich, dass er Mendels Nebentätigkeit als Ghostwriter auf eigene Rechnung so ohne weiteres akzeptierte. Er fordert absolutes Engagement, Loyalität und Fleiß.« Sie trank ihren Cognac aus und fügte hinzu: »Also konnte er doch gar keinen besseren bekommen als Mendel!«
Katinka nickte, als verstünde sie nun alles besser. In Wirklichkeit wirbelten die Rotorenblätter eines Armeehubschraubers in ihrem Kopf herum. Hier bekam sie bündelweise lose Enden geliefert, Hinweise, die berühmten Zaunpfähle, die nun in eine Ordnung gebracht und eingerammt werden wollten. Sie
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