Schockstarre
wartete ab. Schilling streute seine Informationen so präzise und sparsam wie den Kakao auf den Cappuccino. Sie nahm sich noch ein Schmätzchen und fragte:
»Gibt es Hinweise auf Drogengeschichten im Umfeld?«
Schilling musterte Katinka einen Moment, dann sagte er:
»Sie fragen wegen der K.o.-Tropfen, die Ihnen verabreicht wurden? Bisher haben wir nichts, was in diese Richtung weisen würde. Aber die Ermittlungen haben erst angefangen.«
»Können Sie den Täter mit Hilfe der Spuren identifizieren, die er hinterlassen hat?«
»Leider ist die Antwort nein.« Schilling lehnte sich zurück und zupfte Hautfetzen von seinem kleinen Finger. »Es schneite die ganze Nacht. Da war nichts mehr mit Schuhabdrücken. Außer, dass der Täter weder sehr kleine noch sehr große Füße gehabt haben kann!«
»Haben Sie der Ehefrau die Nachricht überbracht?«
»Selbstverständlich«, sagte Schilling.
Katinka wartete darauf, dass er anführen würde, wie scheußlich und dramatisch jene Situationen sich abspielten, dass er sie als eine der schlimmsten Verpflichtungen in seinem Beruf erfuhr und so weiter. Doch er sagte einfach nichts mehr.
»Was ist … mit den Kindern?«
»Die waren schon in der Schule.« Schilling betrachtete seine Fingernägel und riss den Blick nur ungern los. »Gut, Frau Palfy. Sie sind erreichbar, wenn wir Sie brauchen?«
»Natürlich«, sagte Katinka schnell. »Über das Handy jederzeit, Tag und Nacht. Könnte ich …«
»Dann werde ich mich jetzt wieder an die Arbeit machen«, fuhr Schilling fort. »Schönen Tag. Sehen Sie sich die Stadt an! Besonders beeindruckend ist die Festung. Ich streife einmal im Monat durch die Kunstsammlungen, ob Sie es glauben oder nicht. Allein die Glassammlung ist beeindruckend.« Schilling stand auf. »Ach ja, und dann ist da noch das erste Wasserklosett Europas, zu besichtigen im ehemaligen Schlafzimmer Queen Victorias in der Ehrenburg.«
Katinka verzog das Gesicht. Wüsste sie es nicht besser, hielte sie Schillings Bemerkung für einen Scherz.
»Wann bekomme ich meine Waffe wieder?«
»Wird nicht mehr lange dauern. Ich melde mich bei Ihnen.«
Katinka zögerte. Ohne Pistole fühlte sie sich unvollständig und angreifbar. Ihr fehlte der beruhigende Druck des Metalls unter der Schulter.
Der Kommissar nahm Katinkas Mantel aus dem Spind. Sie stand auf, ließ sich ladylike hineinhelfen und griff nach ihrem Rucksack.
»Danke, Herr Hauptkommissar. Sie haben sicher nichts dagegen, wenn ich mich mal bei Ihnen melde?«
Er nahm die Brille ab, klappte die Bügel ein und reichte Katinka die Hand. »Wann immer Sie wollen. Einen schönen Tag.«
7. Plauderstunde mit Edith
Montag, 10. 1. 2005, 15:45 Uhr
Katinka parkte ihr Auto auf dem Großparkplatz am Anger und schlenderte ins Zentrum. Der Weg führte sie unter einem monumentalen Stadttor hindurch. Sogar Teile der alten Stadtmauer waren zu sehen. Auch hier überall Schneematsch, braun vom Salz, durchsetzt mit Splitt. Ich sollte im Sommer hierher kommen, dachte Katinka. Das ist bestimmt eindrucksvoller.
Windstöße zerrten ihr an den Haaren und griffen mit langen, eisigen Fingern unter Mantel und Schal. Die Temperatur zogen wieder an. Katinka wandte sich nach links und kam an der Bäckerei vorbei, die sich als der herzogliche Hoflieferant bezeichnete, mit Stolz auf das Gründerdatum 1892 verwies und Coburger Schmätzchen in verschiedenen Variationen anbot. Katinka kaufte eine Tüte und stiefelte durch den Matsch weiter zum Marktplatz.
Ein kleinstädtisches Schmuckstück tat sich vor ihr auf, eine Pralinenschachtel geradezu. In der Mitte präsentierte sich ein gleichgültiger Prinz Albert mit Schneemütze auf dem Kopf. Im Hintergrund stand das Stadthaus. Es gefiel Katinka sofort, leuchtend rot und weiß, mit herrlichen Erkern, von den Konsolen guckten Tierköpfe auf sie herunter. Geschichte ist nichts anderes als Symbolik und Fantasie, dachte Katinka und konnte den Blick nur schwer von den Verzierungen und allegorischen Darstellungen wenden. Angezogen von dem blauen Rauch und dem umwerfend guten Geruch kaufte sie sich eine Coburger Bratwurst am Stand auf dem Platz.
Obwohl sie fror und müde war vom Chaos des Tages, wollte sie sich nicht in ein Café zu setzen. Es wurde schon wieder dunkel.
In einer Telefonzelle blätterte Katinka nach der Agentur Fenering und notierte die Adresse. Den nächstbesten Passanten fragte sie nach der Alexandrinenstraße. Sie ging zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war, hielt
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