Schockwelle
See, auf der Suche nach etwas, was nicht da war.
3
Nach drei Tagen in einer Höhle auf einer öden Felseninsel aufzuwachen, während draußen ein Polarsturm tobt, und daran zu denken, daß man für den Tod dreier Menschen und das Überleben von neun Männern und elf Frauen die Verantwortung trägt, ist alles andere als angenehm. Für die gestrandeten Urlaubsreisenden, die die wunderbare Einsamkeit der Antarktis hatten erleben wollen, jetzt aber nur noch verzweifelt auf die Rückkehr der noch immer spurlos verschwundenen
Polar Queen
hofften, war der Landaus flug, zu dem sie so fröhlich aufgebrochen waren, längst zu einem Alptraum geworden. Und zu allem Überfluß hatten die Batterien von Maeves tragbarem Funkgerät endgültig schlappgemacht .
Maeve wußte, daß sie jetzt jederzeit mit weiteren Todesfällen rechnen mußte, denn die älteren Leute in ihrer Gruppe litten erbärmlich unter den Bedingungen in der Höhle. Sie hatten ein Leben lang in warmen und tropischen Gegenden zugebracht und waren die grimmige, frostklirrende Kälte der Antarktis nicht gewohnt.
Junge, abgehärtete Menschen hätten vielleicht ausgehalten, bis end lich Hilfe eintraf, aber diese Leute waren nicht mehr so widerstandsfähig wie Zwanzig- und Dreißigjährige.
Anfangs hatten sie Witze gerissen, Geschichten erzählt und die Strapazen als zusätzliches Abenteuer betrachtet. Sie hatten Lieder gesungen, hauptsächlich »Waltzing Matilda«, und sich an allerlei Wortspielen versucht. Aber bald schon hatte sich Teilnahmslosigkeit breitgemacht, und sie waren still und gleichgültig geworden. Doch nach wie vor ertrugen sie ihre Leiden tapfer und ohne Klagen.
Mittlerweile war der Hunger stärker als die Angst vor verseuchtem Fleisch, so daß Maeve nachgeben und die Männer zu den toten Pinguinen schicken mußte, um eine Meuterei zu verhindern. Die Vögel, die sie zurückbrachten, wiesen keinerlei Anzeichen von Verwesung auf, da sie unmittelbar nach Eintritt des Todes gefroren waren. Einer der Männer war ein passionierter Jäger. Er zückte ein Schweizer Offiziersmesser, mit dem er die Tiere gekonnt häutete und ausweidete. Das Fett und die Proteine, mit denen sie sich den Bauch vollschlugen, lieferten ihren Körpern den nötigen Brennstoff und bewahrten sie vor weiterer Unterkühlung.
In einer der Walfängerhütten fand Maeve die Überreste eines siebzig Jahre alten Tees. Außerdem organisierte sie einen alten Topf und eine Pfanne. Danach zapfte sie aus einem der Fässer einen Liter Walöl ab, goß es in die Pfanne und zündete es an.
Eine blaue Flamme flackerte auf, und alle applaudierten, da sie nun dank ihrer Findigkeit über einen funktionstüchtigen Herd verfügten. Danach putzte sie den alten Topf, füllte ihn mit Schnee und kochte den Tee.
Das heiße Gebräu gab ihnen neuen Lebensmut, wenn auch nur für kurze Zeit. Bald darauf machte sich wieder Niedergeschlagenheit in der Höhlenkammer breit. Sie wollten dem Tod mit aller Entschiedenheit trotzen, doch die eisige Kälte zehrte an ihren Kräften. Nach einiger Zeit waren sie wieder davon überzeugt, daß das Ende unvermeidlich war. Das Schiff würde nie mehr zurückkehren, und darauf zu hoffen, daß jemand anders zu ihrer Rettung nahte, war schiere Utopie.
Es kam nicht mehr darauf an, ob sie der gleichen mysteriösen Krankheit erlagen – wenn es denn eine war – wie die Pinguine.
Niemand war entsprechend gekleidet, um über längere Zeit hinweg Temperaturen zu ertragen, die mittlerweile weit unter dem Gefrierpunkt lagen. Wenn sie mit Hilfe des Walöls ein größeres Feuer entzündeten, liefen sie Gefahr, an einer Rauchvergiftung zu sterben. Das bißchen Wärme jedoch, das die kleine Flamme in der Pfanne spendete, reichte kaum aus, um sie am Leben zu erhalten.
Letzten Endes würden sie alle der Kälte zum Opfer fallen.
Der Sturm draußen wurde immer schlimmer. Zudem fing es an zu schneien, was während der Sommermonate auf der Halbinsel nur selten vorkam. Der zusehends heftiger tobende Sturm machte jede Hoffnung zunichte, daß jemand sie zufällig entdecken könnte.
Vier ältere Mitglieder der Gruppe waren aufgrund der Unterkühlung dem Tode nah, und Maeve mußte sich entmutigt eingestehen, daß sie keinerlei Einfluß auf ihr weiteres Schicksal hatte. Sie gab sich die Schuld am Tod der drei Menschen, und das nahm sie sehr mit.
Die Überlebenden betrachteten sie als ihre einzige Hoffnung.
Auch die Männer erkannten ihre Führungsrolle an und befolgten ihre Befehle ohne ein
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