Schockwelle
worden sollte. Als Fred, das ist…« Sie berichtigte sich.
»Das war der Barkeeper. Als er den Sekt aufmachte und Marta, die Kellnerin, die Kristallschale aus der Küche brachte, habe ich mich bereit erklärt, das Eis aus der Kühlkammer zu holen.«
»Sie waren in der Kühlkammer?«
Sie nickte schweigend.
»Wissen Sie noch, ob Sie die Tür hinter sich geschlossen haben?«
»Sie schließt automatisch.«
»Konnten Sie das Eisherz denn allein tragen?«
»Es war nicht besonders groß. Etwa wie ein Blumenkübel.«
»Und was kam dann?«
Sie kniff die Augen zusammen, schlug dann die Hände vors Gesicht und flüsterte: »Ich war nur ein paar Minuten da drin.
Als ich herauskam, waren alle auf dem Schiff tot.«
»Wie viele Minuten genau, was meinen Sie?« fragte Pitt leise.
Sie warf den Kopf vor und zurück und sprach durch die Hände. »Wieso stellen Sie mir all diese Fragen?«
»Ich möchte ja nicht wie ein Staatsanwalt wirken. Aber bitte, es ist wichtig.«
Langsam senkte sie die Hände und starrte geistesabwesend auf die Tischplatte. »Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich da drin war. Ich kann mich lediglich daran erinnern, daß es eine Weile gedauert hat, weil ich erst zwei Tücher um das Eisherz wickeln mußte, damit ich es in die Hand nehmen und tragen konnte, ohne mir die Finger zu erfrieren.«
»Sie haben ein Riesenglück gehabt«, sagte er. »Sie waren genau zur rechten Zeit am rechten Ort. Wenn Sie zwei Minuten früher aus der Kühlkammer gekommen wären, wären Sie genauso tot wie alle anderen. Außerdem können Sie von Glück sprechen, daß ich rechtzeitig auf dieses Schiff gekommen bin.«
»Gehören Sie zur Besatzung? Sie kommen mir nicht bekannt vor.«
Ihm wurde klar, daß sie offensichtlich nicht wußte, wie knapp die
Polar Queen
an den Danger Islands vorbeigeschrammt war.
»Entschuldigen Sie, daß ich mich noch nicht vorgestellt habe.
Ich heiße Dirk Pitt. Ich bin Mitglied einer Forschungsexpedition. Wir haben die Exkursionsgruppe gefunden, die auf Seymour ausgesetzt wurde, und anschließend haben wir das Schiff gesucht, nachdem sich auf unsere Funkrufe niemand meldete.«
»Das muß Maeve Fletchers Gruppe gewesen sein«, sagte sie leise. »Ich nehme an, sie sind ebenfalls alle tot.«
»Zwei Passagiere und der Bootsführer, die sie an Land gebracht hat«, antwortete er. »Miss Fletcher und alle anderen sind wohlbehalten und am Leben. «
Einen Moment lang zeigte sie ein Mienenspiel, das jeder Schauspielerin zur Ehre gereicht hätte. Zunächst der Schock, dann die Wut und allmählich die Freude. Ihre Augen strahlten auf, und sie wurde sichtlich gelöster. »Gott sei Dank, daß Maeve davongekommen ist.«
Die Sonne drang durch die Fenster des Salons und schien auf ihre Haare, die ihr offen auf die Schultern fielen, und der Duft ihres Parfüms stieg ihm in die Nase. Pitt spürte einen seltsamen Stimmungswechsel bei ihr. Sie war eine selbstbewußte Frau Anfang der Dreißig, also im besten Alter, und sie hatte Stehvermögen. Zudem verspürte er ein ungehöriges Verlangen nach ihr, und das ärgerte ihn. Nicht jetzt, nicht unter diesen Umständen. Er wandte sich ab, damit sie nicht sah, wie fasziniert er war.
»Wieso…?« fragte sie benommen und deutete rundum.
»Wieso mußten sie alle sterben?«
Er starrte zu den acht Freunden, die sich auf eine festliche Feier gefreut hatten, als sie so grausam aus dem Leben gerissen wurden.
»Ich bin mir nicht ganz sicher«, sagte er ernst, aber auch voller Wut und Ingrimm, »aber ich glaube, ich habe eine Idee.«
9
Pitt kämpfte gegen die Müdigkeit an, als die
Ice Hunter
vom Radarschirm verschwand und plötzlich Steuerbord voraus aufragte.
Nachdem er die
Polar Queen
nach weiteren Überlebenden abgesucht hatte – vergebens, wie sich herausstellte –, hatte er sich nur ein kurzes Nickerchen gegönnt, während Deirdre Dorsett Wache schob, um ihn sofort zu wecken, falls dem Schiff ein Fischkutter auf Eismeerkabeljaufang in die Quere kommen sollte. Manche Menschen fühlen sich nach einer kurzen Ruhepause wie neugeboren.
Pitt nicht. Ein zwanzigminütiger Schlummer nach vierundzwanzig Stunden Streß und Anspannung reichte nicht annähernd aus, um ihn geistig und körperlich wieder in Schwung zu bringen. Es ging ihm eher schlechter als zuvor.
Vermutlich wurde er allmählich zu alt für diesen Scheiß, dachte er sich. Für Sprünge aus dem Hubschrauber und Kämpfe mit der wilden See. Mit zwanzig war ihm kein Hindernis zu hoch gewesen.
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