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Schön ist das Leben und Gottes Herrlichkeit in s

Schön ist das Leben und Gottes Herrlichkeit in s

Titel: Schön ist das Leben und Gottes Herrlichkeit in s Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Sievers
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knarrte, und er kehrte zurück, eine Tüte mit einem schweren Gegenstand in der Hand. Auf dem kleinen Flur zog er sich die Regenhaut über und die Kapuze ins Gesicht; es war Anfang März und würde wochenlang schütten. Die Tür fiel ins Schloss, Ute sprang auf. Eine Regenjacke besaß sie nicht, zog stattdessen zwei Pullover übereinander, ihre einzigen, sie würde sie nachts über der Heizung trocknen.
    Sie folgte dem Onkel, der den Weg zum Strand eingeschlagen hatte, die Schultern hochgezogen, die Tüte unter dem Mantel verborgen. Die Promenade lag verlassen, der Wind kam von Norden und peitschte ihr den Regen ins Gesicht. Nach zweihundert Metern war sie durchnässt, aber die Kälte konnte ihr nichts anhaben, der liebe Gott wollte sie am Leben lassen, vielleicht war es auch der Tod, dessen Vollstreckerin sie geworden war.
    Die Seebrücke ragte in den Nebel wie ein Finger, der auf das Meer hinauslockte. Sie jagte Ute einen Schauer über den Rücken, sooft sie sie passierte, Ute würde sie nie betreten.
    Der Onkel marschierte weiter, vorbei am Freibad, über das Ende der Promenade hinaus, durch das graugrüne Gras der Dünen, Richtung Osten. Er blickte sich nicht um, glaubte sich allein, denn bis April würden die Dörfler in ihren Stuben hocken, außer denen, die nach dem Sturm am Meeressaum Bernstein suchten.
    Er erreichte den Campingplatz, verlassene Wohnwagen in knietiefen Pfützen, und steuerte auf das Toilettenhäuschen zu. Dort trat er unter das Vordach aus Wellblech, schüttelte sich und zog die Tüte hervor. Er legte sie neben sich auf die Treppe, griff wieder unter den Mantel, fischte nach einer Zigarette, zündete sie an und inhalierte tief. Er straffte die Schultern, als stünde ihm Großes bevor, doch was, konnte Ute sich beim besten Willen nicht vorstellen.
    Sie war hinter einem Knaus in Deckung gegangen, einem „Schwalbennest«. Der Wohnwagen war so klein, dass er kaum für zwei reichte, und doch war er das am häufigsten vertretene Modell. Es war ein Campingplatz für Arme.
    Der Onkel setzte sich auf eine Stufe, warf den Zigarettenstummel fort, spähte um sich und zog die Pistole aus der Tüte. Er betrachtete sie lächelnd von allen Seiten, lehnte sich zurück und ging in Wartestellung. So verharrte er, während Ute fror und ihre Nasenspitze gefühllos wurde.
    Nach zwanzig Minuten zuckte er zusammen, streckte den Rücken, hob seine Waffe, entsicherte sie und zielte auf etwas, das hinter Ute lag. Ute wagte nicht, sich umzudrehen, befürchtete, ihre Bewegung könnte sie verraten, und fuhr erst zusammen, als der Schuss fiel.
    Der Onkel pustete in den Lauf, setzte sich in Bewegung und trabte in Utes Richtung. Sie wich ihm aus, umkreiste den Knaus und beobachtete den Onkel von dort, wo er zuvor gestanden hatte. Er bückte sich, hob etwas an von der Größe einer Katze, rot getigert, es
war
eine Katze. Die Kugel hatte ihr Becken zerschmettert, doch sie lebte noch, und der Onkel hatte sie bei den Hinterläufen gepackt. Er ging zum Strand, blieb am Wasser stehen, schwang den Arm wie ein Hammerwerfer und schleuderte das schreiende Tier in die Wellen. Dann machte er sich auf den Rückweg. Ute folgte ihm mit großem Abstand, zitternd vor Kälte und Ohnmacht, in ihrem Kopf das Geschrei hunderter Stimmen. Sie bückte sich und hob einen scharfkantigen Feuerstein auf, führte ihn an ihren Unterarm, begann zu schneiden, bis es blutete und die Schreie in ihrem Kopf verstummten.
    Als der Onkel am Abend in sie dringen wollte, sah sie das Tier vor sich und kniff die Lippen zusammen. Er packte ihr Haar, zog sie auf Augenhöhe und sagte: »Ich weiß, dass du da warst, heute Nachmittag, und wenn du jetzt nicht das Maul aufmachst, passiert dir das Gleiche wie der Katze, das schwöre ich.«
    Ute öffnete den Mund, sie war die Katze und ließ ihn gewähren.
    Sie las nicht mehr, doch zur Schule musste sie gehen. Man ließ sie die vierte Klasse wiederholen, zum zweiten Mal, »und noch so lange«, sagte die Lehrerin, »bis du den Mund aufmachst«. Jedes Schuljahr bedeutete neue Demütigungen, tuschelnde Kinder, die nicht müde wurden, Quälereien zu erfinden. Sie schnitten Ute die Zöpfe ab, stahlen ihre Unterhosen und stießen sie in den Graben.
    Im Herbst wurde die Lehrerin krank und kam nicht mehr zurück, »Brustkrebs«, sagte die Großmutter.
    Zwölf Wochen später begrub man sie. Die Trauer an ihrem Grab schien groß, die Dörfler setzten betroffene Mienen auf und waren erleichtert, dass es nicht sie erwischt hatte.
    Eine

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