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Schön ist das Leben und Gottes Herrlichkeit in s

Schön ist das Leben und Gottes Herrlichkeit in s

Titel: Schön ist das Leben und Gottes Herrlichkeit in s Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Sievers
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neue Lehrkraft musste gefunden werden, so schnell wie möglich, aber es gab niemanden, der im Winter in ein Ostseebad unter bleiernem Himmel ziehen wollte. Also sprang der Witwer der verstorbenen Lehrerin ein, vielleicht war auch er einmal Lehrer gewesen, jetzt aber längst Pensionär und außerdem Imker. Er hieß Herr Kramer, liebte die Bienen und hasste die Kinder.
    Er strich Multiplikation und Division, deutsche Grammatik und Handarbeit und setzte Bienenzucht auf den Lehrplan. Die Klasse begann mit der Geschichte der Imkerei, zwölftausend Jahre alten Höhlenmalereien, die Ute begeisterten, nicht aber ihre Mitschüler. Als sie Mesopotamien erreichten, flog der erste Papierflieger durch das Klassenzimmer. Der Täter wurde ermittelt, alle anderen Kinder auf den Pausenhof geschickt. Sie lauschten den Schmerzensschreien des bei offenem Fenster Gezüchtigten.
    Somit hatte Herr Kramer die Fronten geklärt; die Klasse war fortan mucksmäuschenstill. Sie streiften das alte Ägypten, die Römer und das Mittelalter, landeten schließlich in der Neuzeit und damit in der hohen Schule der Imkerei, im Garten des Herrn Lehrer Kramer.
    Der Höhepunkt dieses Exkurses sollte ein Ausflug in dessen Bienenstand sein und war geplant für einen Freitag. Beinahe freute sich Ute, die Bienen bei der Arbeit zu sehen, die Tiere waren ihre Freunde, denn sie wollten ihr nichts Böses, anders als die Menschen.
    Als die Kinder loszogen, zu zweit Hand in Hand, nur Ute allein, ging Lehrer Kramer vorweg bis in die Waldstraße, wo sein Häuschen stand. Der Garten üppig, der Bienenwagen ein Eisenbahnwaggon, im hintersten Winkel. Es roch nach Fäulnis, nach süßem Tod, Ute vermutete, man habe die Lehrerin an Ort und Stelle verscharrt. Das Summen der Bienen erfüllte die Luft, ehrfürchtig nahmen die Kinder Aufstellung vor den Kästen. »Hier bleibt ihr, jeder kommt einzeln zu mir in den Wagen, und die anderen rühren sich nicht«, Herr Kramer kniff die Augen zusammen, die unter den buschigen Brauen zu verschwinden schienen. Sogar die Jungen hatten gelernt zu gehorchen, ihre Ohren schmerzten, da sie bei Ungehorsam gepackt und gedreht wurden. Er deutete auf Ute. »Du zuerst.« Namen vergaß er.
    Sie folgte dem Lehrer fünf kleine Stufen hinauf in den Wagen und fand sich im Inneren, zwischen Waben im goldenen Dämmerlicht, betäubt vom Duft nach Bienenwachs.
    Herr Kramer wies auf einen Holzstuhl. Ute gehorchte, setzte sich aufrecht hin und erwartete seinen Befehl. Er griff in ein Regal, zog ein Glas Honig hervor, öffnete den Schraubverschluss, blickte suchend um sich, entdeckte einen Löffel, führte ihn zum Mund und leckte ihn ab, einmal von oben, einmal von unten, mit seiner großen, pelzigen Zunge. Er tauchte den Löffel in das Glas, trat vor das Mädchen mit der Hasenscharte und zielte auf ihre Lippen, die aber verschlossen blieben, nichts sollte mehr über sie gehen, nicht einmal süßer Honig.
    Der Lehrer stockte: »Mach auf, du, wie heißt du überhaupt?«, er stieß den Löffel tiefer. Doch Utes Zähne waren im Weg, klirrten unter den Stößen. Herr Kramer trat zurück, ließ den Löffel sinken und musterte sie: »Wer nicht hören will, muss fühlen«, und: »Steh auf.« Ute erhob sich mit eingezogenen Schultern, in ihren Ohren Geschrei, das die Bienen übertönte. Der Lehrer packte sie bei den Schultern, drehte sie um und bedeutete ihr, sich vorzubeugen, die Hände auf den Stuhl zu stützen, zu warten. Dann riss er ihr den Rock hinab, als nächstes den Schlüpfer, hielt inne, schien sie zu betrachten, holte aus und ließ den ersten Schlag los auf ihre Hinterbacken, einmal rechts, einmal links, zehn insgesamt. Ute blieb stumm, denn Weinen half nichts, das hatte sie gelernt.
    Als es still war hinter ihr, nur noch das Keuchen des Lehrers und das Summen zu hören waren, zog sie Hose und Rock hinauf, wandte sich um und erblickte den Löffel, geradewegs vor ihren Lippen. Sie öffnete den Mund, schluckte den Honig, zum ersten und letzten Mal in ihrem Leben, dann stolperte sie hinaus zu den wartenden Mitschülern, die sie neugierig musterten.
    Einen nach dem anderen rief der Lehrer, und niemand blieb so lange wie Ute im Inneren des Bienenwagens, denn allen schmeckte der Honig des Herrn Lehrer Kramer.
    Abends schnitt Ute in ihre Haut, so tief, dass Blut in das Waschbecken tropfte und sie Verbände anlegte, die sie in der Drogerie gestohlen hatte, ohne dass man sie beachtete. Vielleicht machte der Makel sie unsichtbar.
    Waren die Schnitte getan,

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