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Schön ist das Leben und Gottes Herrlichkeit in s

Schön ist das Leben und Gottes Herrlichkeit in s

Titel: Schön ist das Leben und Gottes Herrlichkeit in s Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Sievers
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gleich, würde auf sie zeigen und berichten, dass sie ihn hätte verrecken lassen.
    Doch er kam nicht, auch nicht am nächsten Tag und am übernächsten. Am vierten Tag war ein Getuschel unter den Schülern, keine Spur mehr von Überheblichkeit. Besorgte Gesichter, auch bei den Lehrern.
    Vor der Stunde räusperte sich die Englischlehrerin, hob die Hand und bat um Ruhe, diesmal auf Deutsch, damit sie verstanden würde. »Ein Schüler ist verschwunden, ihr habt vielleicht davon gehört. Es ist Pit aus der neunten Klasse, er wurde zuletzt vor vier Tagen gesehen, auf dem Weg zum Strand, und es gibt Grund, das Schlimmste zu befürchten.«
    Entgegen ihrer Gewohnheit blickte Ute der Lehrerin ins Gesicht, wollte kein Wort verpassen, ihre sorgenvolle Miene sehen, die gefalteten Hände.
    «Wenn einer von euch etwas weiß«, jetzt hob die Lehrerin den Zeigefinger, »bitte ich dringend, es mir zu sagen. Pits Eltern, das könnt ihr euch vorstellen, sind verzweifelt.«
    Ute horchte in ihr Inneres, war da Mitleid? Nein, nur Genugtuung, Triumph über diese Eltern, die das verabscheuungswürdige Geschöpf gezeugt und großgezogen hatten, sie hatten es nicht anders verdient.
    Die Lehrerin schwieg einen Moment, wartete vergeblich und begann schließlich mit ihrer Lektion. Ute konzentrierte sich auf den Unterricht, Englisch war ein Kinderspiel, schade nur, dass sie nicht hören würde, wie es von ihren Lippen klänge.
    Nach der Schule blieben die Schüler länger als sonst, standen in Trauben am Eingang und bei den Fahrrädern, Wortfetzen drangen an Utes Ohr, von Eis und Tod, einige Mädchen weinten.
    Ganz hinten, neben dem Rad des Onkels, stand Volkan, klein, ernst und blass, er sah Ute entgegen. Sie versuchte ein Lächeln, entblößte ihre Zähne, haifischartig spitz und in zwei Reihen, sie hob die Hand vor den Mund. Da kam er schon auf sie zu, ließ sich in den Arm nehmen, legte seinen Kopf an Utes Schulter und begann zu schluchzen: »Pit ist tot, Pit ist tot, er war doch mein Freund, und nun werde ich ihn nie wiedersehen!« Aus seiner Nase lief Schleim, doch das störte Ute nicht, er war ja von ihm. Die anderen starrten sie an, und zum ersten Mal tuschelte niemand.
    Ute hielt Volkan umschlungen, bis sein Körper nicht mehr bebte, er sich das Gesicht an seiner Jacke abwischte, wo der Schleim seine glänzenden Spuren hinterließ. Dann ging er zu ihrem Fahrrad, dem Onkelrad, umkreiste es, nickte schwach und zog es aus dem Ständer. Ute verstand, stieg auf das Damenrad und folgte Volkan über den plattgewalzten Schnee in ihr Dorf. Und wenn er auch schwieg und seine Hand nicht auf ihre Schulter legte, war es doch ein Sieg; denn er hatte sie zu seinem Trost gewählt, und sie war bereit.
    Die Tage vergingen, und man schickte Suchtrupps auf das Eis, in Schutzanzügen und angeleint, und wo es dünn war, auf dem Bauch. Die Dörfler standen am Strand, trotz Kälte, und hofften insgeheim auf einen Toten, den man aus den Schollen zöge, weiß und starr vom Eis. Pits Eltern kamen nicht zum Strand, ihnen wurde am Abend Bericht erstattet.
    Ute hockte auf dem Sand und sah den Männern zu, sie näherten sich der richtigen Stelle. Utes Herz raste, da bückte sich ein Helfer und hob etwas hoch, von roter Farbe und der Form einer Hand. Wie eine Trophäe trug er es ans Ufer und legte es in den Sand. Die Schaulustigen strömten herbei und bildeten einen Kreis. »Das ist sein Handschuh, ich erkenne ihn«, sagte ein Mädchen, und die Dörfler senkten die Köpfe.
    Der Helfer kehrte auf das Eis zurück, begleitet von seinen Kameraden; man suchte den Fundort ab, aber die Schollen hatten sich längst verschoben, die Strömung hatte Utes Peiniger mitgerissen. Manchmal fand man die Ertrunkenen Hunderte von Kilometern entfernt, hatte die Großmutter gesagt.
    Am Tag darauf wurde die Suche abgebrochen, jetzt mussten die Eltern bis zum Frühjahr warten, um Gewissheit zu erhalten.
    Für Volkan war es ein schwerer Tag, und Ute überlegte, wie sie ihn trösten könnte. Hätte sie sprechen können, sie hätte aus ihren Büchern erzählt, Geschichten, die er geliebt hätte, von fremden Ländern, tapferen Männern und schönen Frauen. So aber zogen sie durch das Dorf, stellten die Fahrräder ab und sahen in die Schaufenster, die jetzt, im Winter, noch weniger boten als im Sommer. Im Kaufhaus Puck war Haushaltswoche, Tupperware kam in Mode, in der Drogerie war zur Erkältungszeit dekoriert, Lutschbonbons und Nasentropfen. Vor dem Konsum kauerte der Dorftrottel, kahl

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