Schön scheußlich
spezielle Liebende, dessen Leidenschaft das Leben neu und unmittelbar macht, dessen eigene Begierde stärker ist als jede andere vor ihr. Ein brünstiges Tier ist das unantastbare Individuum per se, das überheblichste aller Geschöpfe; es wähnt sich für einen Augenblick unter den Unsterblichen. Und die Einzelheiten seiner Geschichte, die Details dessen, wie das Männliche und das Weibliche aufeinander treffen, sind für den Moment das einzig Interessante, sie sind das Ein und Alles. Sie künden von dem Geschöpf, das sich zu höchstmöglicher Leistung aufschwingt, von höchster Komplexität, höchstem Ausgeliefertsein, höchster Offenbarung. Sie berichten von der Kreatur, die leidenschaftlich kundtut: »Schau mich an! Schau, was ich kann! Ich lebe, und ich habe vor, am Leben zu bleiben, indem ich mich auf dieser Bühne in Szene setze, wie sich noch niemand in Szene gesetzt hat! Ich bin das tollste, das fürsorglichste, das unwiderstehlichste Exemplar, das du je gesehen hast. Schau her, hier bin ich!« Also gut, da schaue ich eben hin.
Bevor Sie mich jetzt für einen billigen Voyeur halten: Zum Sexualverhalten gehört für mich auch elterliches Verhalten. Ich glaube, dass beides eng miteinander verknüpft ist. Wie Tiere sich ihren Jungen gegenüber verhalten, kommt oftmals einer Variation über das Thema ihrer Paarungsrituale gleich. Es wird von ähnlichen Hormonen gesteuert und ist ebenso schlicht oder verschnörkelt wie die Affäre, die überhaupt zur Entstehung der Brut geführt hat. Das mag natürlich eine Widerspiegelung meiner Weiblichkeit sein, denn Frauen nehmen Sex und Mutterschaft ganz allgemein nur im Doppelpack wahr. Und viele der Evolutionsbiologen, die den Standpunkt vertreten, elterliches Verhalten sei ebenso wie, sagen wir einmal, das Gefieder eines Männchens als sexuell selektioniertes Merkmal zu betrachten, sind ebenfalls Frauen. Doch die Wahrheit ist, dass sich bei den meisten Tieren, die ich - oft aus Gründen, die nichts mit ihrem Familienleben zu tun haben - für spannend genug hielt, um über sie zu schreiben, herausstellte, dass sie ein bemerkenswertes Sexualverhalten an den Tag legen. Sie opfern ihren Körper als Brustäquivalent. Sie fressen Kot, damit sie genügend Stickstoff aufnehmen, um ihre Jungen zu schützen. Sie nehmen Nagetiere auseinander und verwandeln sie in vorverdautes Gulasch für ihre Sprösslinge. Sogar manche Insekten, so abartig sie uns auch manchmal erscheinen mögen, investieren Jahre in die Aufzucht ihrer Jungen. In manchen Fällen enthalten die Paarungsrituale, die Tiere vollführen, Hinweise auf ihre elterlichen Fürsorgequalitäten, beispielsweise wenn ein werbendes Buntbarschmännchen ein Weibchen auf das Heftigste misshandelt, um zu sehen, ob es sich wehrt - was es als verlässlichen Kämpfer und Beschützer seiner Jungen auswiese.
Das Thema Gemeinsamkeiten, die wir mit den anderen Bewohnern des Planeten teilen, bezieht sich auch auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Im Abschnitt »Heilen« spreche ich medizinische Themen und Gesundheitsfragen an, allerdings aus evolutionärer und artenübergreifender Perspektive. Bevor wir zu einer Nation von Übergewichtigen abrutschen, könnten wir davon profitieren, uns anzuschauen, wie andere Säugetiere ihr Körperfett metabolisieren und speichern. Warum setzt Fett an manchen Körperteilen so gut an, an anderen hingegen fast gar nicht? Und warum ist Körperfett am Bauch so viel bedrohlicher für unsere Gesundheit als Fett an Gesäß und Oberschenkeln? Warum macht Fettleibigkeit Menschen anfällig für Herzerkrankungen und Bluthochdruck, während ein Murmeltier in jedem Herbst geradezu obszön fett wird, ohne dass seine Arterien dafür bezahlen müssen? Dies sind nur einige der pikanten Themen, die sich ergeben, wenn man aus evolutionärer Perspektive auf ein vertrautes Thema blickt: unser Dicksein. Dasselbe lässt sich für die Menstruation sagen. In Kapitel 28 stelle ich eine revolutionäre Betrachtung über den Sinn der Periode vor, die sich nur eine Evolutionsbiologin hat einfallen lassen können.
Ein Abschnitt aber ist nahezu ausnahmslos dem Menschen gewidmet: »Erschaffen«. Der schöpferische Impuls mag nicht auf uns Menschen beschränkt sein - man denke nur an Laubenvögel oder auch an den Mistkäfer und seine makellosen Brutballen - , aber wir haben ihn in jeder Hinsicht zu den extravagantesten Höhen getrieben; das n der Möglichkeiten reicht hier ins Unendliche. Erst kürzlich kam mir dies wieder zu
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