Schön scheußlich
Angeborenes und Erworbenes so ineinander verflochten sind, dass Sie, wenn Sie versuchten, beide auseinander zu dividieren, letztlich etwas in der Hand hielten, was für sich genommen keinerlei Bedeutung mehr hat. Entwicklung findet schließlich nicht im luftleeren Raum statt. Die chemischen Sequenzen, die wir Gene nennen, die Ketten aus Hunderten von As, Ts, Gs und es, können ihr Potenzial, uns zu dem zu machen, was wir sind, nicht ausschöpfen, ohne gleichzeitig selbst das zu sein, was wir sind. Sie finden ihre Aufgabe in einer bestimmten Verknüpfung, und, nicht minder wichtig, sie werden durch diese Verknüpfung verändert. Die Doppelhelix ist ein flexibles, sich permanent veränderndes Molekül, die Lava in der Lampe. Mit ihrer Form ändern sich auch viele ihrer Funktionen: Ein Abschnitt der Helix verdoppelt sich, und ein Gen, das einst nach außen gekehrt war, ist nun plötzlich im Inneren verborgen, und nichts kann mehr zu ihm gelangen, um es zu neuem Leben zu erwecken. Ein verirrtes Hormon heftet sich an das Genom wie ein Stück Kaugummi an einen Kinositz, und die betreffende Sequenz ist für Minuten, Tage, Monate außer Gefecht. Dies sind nur ein paar Beispiele dafür, was die Umwelt zu sagen haben kann und wie sie in der Sprache der Gene das Wort ergreift. Mich interessiert die DNS als Wesen, das sich in Raum und Zeit bewegt, als eigener Organismus. Die meisten Geschichten, die ich über die Molekularbiologie erzähle, haben daher etwas mit dieser Beweglichkeit zu tun. Ich glaube, dass die Bedeutung der DNS-Struktur massiv unterschätzt worden ist, und so will ich auf bescheidene Weise versuchen, dieses Versäumnis auszubügeln. Ich schreibe von DNS-Verformungen, von der Doppelhelix wie von einem Paar Pfeifenputzern, die gefaltet, verdreht und zu Ösen geschlungen werden, auf dass die Gene, die auf ihnen aufgereiht sind, zum Sprechen gebracht werden können. Die Histone, knubbelige Proteinverbände, die am Erbgut haften, komprimieren dieses im Kern zur Unsichtbarkeit und schwingen sich bei sämtlichen Kontakten zwischen der DNS und dem Rest der Zelle zum Chef auf. Und die Telomere, dünne Zipfel aus sich wiederholenden DNS-Sequenzen an der Spitze eines Chromosoms, sagen der Zelle, wie alt sie ist und wie viel Zeit ihr noch bis zu ihrem Tod bleibt. Diese zellulären Komponenten stehen weit weniger häufig im Rampenlicht als die angeblich unbesiegbaren Gene, und doch gehören sie zu den Elementen, die den Genen Leben und Sinn verleihen. Überdies bilden sie die Brücke zwischen dem Text der Rede, wie er in den Nukleinsäure-Untereinheiten der Gene geschrieben steht, und der tiefen, wilden, ungebärdigen Schönheit des auf seiner Grundlage entstehenden Körpers und Gehirns. Wo DNS vorkommt, verquicken sich Angeborenes und Erworbenes.
Neben der Beschreibung einzelner Darsteller auf der makroskopischen und mikroskopischen Bühne wird mich auch die Untersuchung von Themen beschäftigen, die diese Darsteller miteinander verknüpfen. In dem Abschnitt über Anpassung und auch an anderer Stelle beschäftige ich mich mit Verhaltensweisen, die Menschen und Nichtmenschen gleichermaßen häufig an den Tag legen, die jedoch in unserer gegenwärtigen Wirtschafts-und Arbeitsordnung wenig Beachtung und noch weit weniger Bewunderung erregen: das fundamentale Bedürfnis nach Spiel, Freude und ausgedehnten Ruhephasen. Wiederholt werde ich bei einer Vielfalt von Geschöpfen auf das Thema Sexualität, Balzrituale und Strategien der Partnerwahl zu sprechen kommen. Ein Teil meines Interesses an tierischem Sex entspringt purer lüsterner Neugier: einer Neugier auf die Details dessen, wie Weibchen und Männchen einander begegnen, wie sie einander umkreisen - bedächtig, stolz, verführbar, einer Neugier auf die Art und Weise, wie sie zusammenkommen, zusammenbleiben, auseinander gehen. Sexgeschichten sind stets aus sich heraus interessant, und manchmal ist das ein hinreichender Grund, sie zu erzählen. Dennoch kann ich oft nicht umhin, in einer bestimmten Art von Beziehung eine Botschaft auszumachen und einen Einblick zu nehmen in das, was ist und was sein könnte - welche Optionen es gibt, welche Lösungen für das immer währende, brisante Problem der Treue. Ein Tier in seiner sexuellen Blüte ist pralles, allumfassendes Leben. Es verhält sich, wie Leben es von Anbeginn an getan hat. Das heißt, es ist in erster Linie voller Hingabe darauf aus, mehr Leben in die Ungewissheit der Zukunft zu entsenden. Es is~ der Einzelne, der ganz
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