Schön scheußlich
gibt. Eine Vielzahl an Beweisen hat in jüngster Zeit so klar wie eine Krokodilsträne gezeigt, dass sogar Geschöpfe, bei denen man lange an einen Hang zur Treue geglaubt und eine starke Partnerbindung zur Aufzucht der Jungen für erforderlich gehalten hatte, in Wirklichkeit treulose Gesellen sind.
In der Vergangenheit glaubten Biologen beispielsweise, dass bis zu vierundneunzig Prozent aller Vogelarten monogam leben und sich ein Vater und eine Mutter die Last der Kükenaufzucht teilen. Heute, da man die Vaterschaft mit genetischen Methoden bestimmen kann, hat man herausgefunden, dass im Durchschnitt dreißig Prozent der Jungvögel oder mehr pro Nest von einem anderen als dem ansässigen Männchen gezeugt wurden. Tatsächlich besteht dieser Tage die große Herausforderung vielmehr darin, eine Vogelart zu finden, die nicht zu derart nachweisbarem Herumpoussieren neigt.
Und bei Arten, von denen man bereits wusste, dass sie polygam leben, stellen die Forscher mehr und mehr fest, dass sich ihre Lieblinge in ihrer Treulosigkeit noch weit rücksichtsloser als zuvor angenommen gebärden. Säugetiere beispielsweise hat man nie für ein Muster an Tugend gehalten, doch selbst hier ist eine Revision angebracht. Experten korrigieren die bereits Mitleid erregenden Zahlen von zwei bis vier Prozent, die, wie sie dachten, die Anzahl der treuen Säugetierarten repräsentieren würden, noch weiter nach unten. Zum großen Erstaunen, wenn nicht gar zum tiefen Missfallen vieler traditioneller Verhaltensforscher geht ein Großteil der Ausschweifungen auf das Konto der Weibchen.
Auf den Spuren von wild lebenden Hasen, Elchen und Eichhörnchen haben die Wissenschaftler lernen müssen, dass die Weibchen bei allen drei Arten an einem einzigen Tag mit zahlreichen Männchen kopulieren, wobei sie nach jeder Paarung den größten Teil des Samens ausscheiden, um Platz für den nächsten Anwärter zu schaffen. Auf diese Weise bekommt ein Weibchen eine Vielfalt an Spermien zusammen und sichert so ihrem Nachwuchs eine optimale genetische Bandbreite. Die in dieser Hinsicht leistungsfähigste Kreatur ist womöglich die Bienenkönigin, die auf ihrem einzigen Ausflug aus dem Stock mit einer Vielzahl an willfährigen, dem Tod geweihten Drohnen kopuliert.
Was die Männchen betrifft, so legen diese bei ihren Versuchen, weiblicher Flatterhaftigkeit einen Riegel vorzuschieben, einen erstaunlichen Erfindungsreichturn an den Tag. Bei den Idaho-Zieseln harren die Männchen unbeirrt an der Seite der Weibchen aus, solange diese fruchtbar sind. Manchmal jagen sie sie sogar in ein Erdloch und setzen sich auf die Öffnung, um ihre Angebetete daran zu hindern, mit irgendwelchen Konkurrenten herumzuziehen. Andere Eichhörnchen verwenden eine Nagerversion des Keuschheitsgürtels und setzen auf ihr Ejakulat eine gummiartige Absonderung, die als Stöpsel fungiert. Wieder andere Strategien resultieren in dem, was man als »Krieg der Spermien« bezeichnen könnte: aufreibende Kämpfe zwischen den Männchen, durch die jeweils dem eigenen Sperma die besten Erfolgsaussichten gewährt werden sollen, da die Weibchen sich offensichtlich nicht mit einem Partner begnügen. Bei vielen Säugetieren hat das letzte Männchen in der Reihe die größte Chance, das Weibchen tatsächlich zu befruchten. Also versuchen verschiedene Männchen in einem kräftezehrenden Wettkampf immer wieder, der jeweils letzte Partner des Weibchens zu sein. Doch wie könnte man seinem Rivalen besser einen Strich durch die Rechnung machen als mit dem richtigen Werkzeug? Die Männchen der Kleinlibellen beispielsweise tragen am Ende des Penis eine Art Löffel, mit dem sie vor der Kopulation flugs den Samen des vorherigen Männchens entfernen können. Diese neuen Befunde zum Paarungsverhalten und zu dem schier universellen Vorhandensein von Untreue haben die Vorstellungen der Biologen über tierisches Verhalten und über die Dynamik verschiedener tierischer Sozialsysteme neu geformt. Die Forschung straft den trostlosen Allgemeinplatz Lügen, demzufolge nur Männchen zur Promiskuität neigen und das einzige Ziel eines Weibchens ein guter Partner ist. Vielmehr haben sich zahlreiche tierische Sozialsysteme höchstwahrscheinlich dahin entwickelt, ihren Mitgliedern sowohl ein gewisses Maß an selektivem Betrug zu gestatten, als auch Tieren zu erlauben, sich zu glücklichen Paaren zusammenzufinden. Die meisten Paarbindungen sind daher womöglich reine Zweckgemeinschaften, die bei den Partnern hinreichend
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