Schön tot: Ein Wien-Krimi (German Edition)
machte mir Komplimente wegen meiner Kaltblütigkeit.
„Jetzt hör mir mal zu“, fauchte ich in den Hörer. „Ich habe mich schon sehr früh mit dem Tod beschäftigen müssen. Die meisten Menschen setzen sich lieber nicht mit dem Sterben auseinander. Zumindest nicht, bis sie es müssen. Ich war dreiundzwanzig, als meine Eltern ermordet wurden.“
Plötzlich begann ich zu weinen. Weinte nicht wegen des gewaltsamen Todes meiner Eltern, nicht wegen der vier toten Frauen, ich weinte meinetwegen, wegen meiner Einsamkeit und aus Erschöpfung. Und ich wünschte, ich hätte jemanden gehabt, der mich in den Arm nahm. Der Anblick der Toten im Filmcasino war einfach zu viel für mich gewesen.
Besorgt fragte Tony, ob er zu mir kommen solle.
Dieser Gigolo hatte sicher nicht die geeigneten Schultern, um sich an ihnen auszuweinen. Er taugte höchstens, und nicht einmal dessen war ich mir sicher, fürs Bett. Ich hielt mich nicht länger mit Erklärungen auf. Bat ihn, mich morgen wieder anzurufen, und schaltete mein Handy aus.
Ich beruhigte mich genauso schnell wieder, wie ich mich hatte gehen lassen. Orlando bequemte sich endlich dazu, meinen Fernseher auszuschalten. Meine Tränen schienen ihn nicht sonderlich beeindruckt zu haben. Anstatt mich wegen der perversen Anrufe zu beruhigen oder zu fragen, warum ich geheult hatte, erzählte er mir das Ende der Komödie, die er gerade gesehen hatte. Sehr sensibel! Meine Sympathie für Schwule geriet stark ins Schwanken.
„Könnte ich nicht heute Nacht ausnahmsweise bei dir im Bett schlafen?“, fragte er mich.
„Sonst noch Wünsche?“
„Mir tut alles weh. Deine Chaiselongue ist viel zu kurz, und der blöde Sessel rutscht dauernd weg. Wegen meiner Verletzung kann ich nur auf der rechten Seite liegen…“
„Keiner hat dich gebeten, dich bei mir einzuquartieren“, sagte ich schärfer als beabsichtigt.
Sein Stöhnen, als er sich umdrehte, klang echt.
„Stefan Grünbeck hat mir versprochen, das neue Sofa in den nächsten Tagen zu liefern.“
„Die Männer versprechen einem zuerst immer alles …“
„Halt den Mund!“, fauchte ich ihn an.
4. Akt
16
Acht Uhr morgens. Orlandos Bett war leer.
Ich wollte schon zum Telefon greifen und die Polizei anrufen, als mir einfiel, dass er vielleicht in die Waschküche gegangen war, um die Handtücher zu holen. Als ich auf den Gang hinausschaute, sah ich vor der Tür meiner Nachbarin zwei Boulevardzeitungen liegen. Ich wusste, dass sie auf Urlaub war, und borgte mir die Blätter aus.
„Schlachtfeld Margareten“ sprang mich von der einen Titelseite an. Der Aufmacher der anderen Zeitung lautete: „Jahrhundertterror“. Beide brachten große Farbfotos von Ilona, Vera und Anja.
Zum ersten Mal stellte ein Journalist einen Zusammenhang zwischen den Frauenmorden in Margareten und der Gasexplosion in dem alten Haus am Margaretenplatz her. Dasselbe Blatt druckte auch ein Foto der Serbin ab, die in der Ordination von Dr. Bischof geputzt hatte. „4. Opfer des Serienkillers?“, stand darunter. Ich erfuhr, dass ihr Name Stanka gewesen und sie gerade mal dreiundzwanzig Jahre alt geworden war. Auch sie war eine hübsche Dunkelhaarige gewesen.
Alle bisherigen Todesopfer sahen sich ziemlich ähnlich. Alle waren schöne junge Frauen ausländischer Herkunft. Die Anwältin Vera Navratil war Tschechin gewesen. Hatte erst vor ein paar Jahren die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen. Das waren einige der wenigen Informationen, die ich diesem Artikel entnehmen konnte.
Fast hätte ich über all den Schlagzeilen auf Orlando vergessen. Als er kurz danach mit frischen Semmeln und einer anderen Tageszeitung zurückkam, war ich zwar erleichtert, beachtete ihn aber nicht weiter. Ich riss ihm die Zeitung aus der Hand und befahl ihm, Kaffee zu kochen.
„Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan. Meine Schulter tut mir so weh“, jammerte er.
„Warum gehst du nicht endlich zu deinem Arzt“, sagte ich und widmete mich dem Bericht über die Morde in Margareten.
Dieses Blatt brachte sogar ein Einzelporträt von Ilona und ein Foto, auf dem sie nackt zu sehen war. Sie mussten dieses alte Bild bei irgendeinem Pornoverlag aufgetrieben haben. Ilona sah einige Jahre jünger aus und hatte noch ihre echten Brüste. Zumindest behauptete das Orlando, nachdem er einen Blick auf das Aktfoto geworfen hatte: „Was sind denn das für mickrige Dinger? Diese Frau hatte einen Wahnsinnsbusen! – Ich wusste natürlich sofort, dass all diese Pracht aus reinem
Weitere Kostenlose Bücher