Schön und ungezähmt
ihre Stellung als heiratsfähige junge Frau und vor allem ihr respekteinflößender Vater.
Tatsächlich waren das eine ganze Menge Probleme – die allesamt nur mit einem Mann verbunden waren.
Sie erhob sich von ihrem Frisiertisch und griff mit einem Seufzen nach ihrem Fächer, ehe sie ihr Schlafzimmer verließ und nach unten ging, wo ihre Eltern in der Eingangshalle auf sie warteten. Ihre Mutter sah blendend in ihrem Kleid aus smaragdgrüner Seide aus. Ein schier unbezahlbares Diadem aus Diamanten
glitzerte in ihrem kompliziert frisierten, dunklen Haar. Ihr Vater trug einen eleganten Abendanzug, eine rubinbesetzte Nadel zierte seine schneeweiße Krawatte, und das ergrauende Haar hatte er streng zurückgekämmt. Ungeduldig ließ er seine Handschuhe durch seine Hände gleiten, den Blick auf sie geheftet, als sie am Treppenabsatz erschien.
»Da bist du ja. Ich wollte schon jemanden nach oben schicken, um dich zu holen, meine Liebe.Aber es war die Wartezeit auf jeden Fall wert. Du siehst atemberaubend aus.«
Rebecca zwang sich zu einem Lächeln. Sie freute sich nicht besonders auf die kommenden Stunden. Wieder ein Ball, wieder ein Abend, an dem eifrige Männer beim Tanzen versuchten, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, während der Mann, von dem sie sich verzweifelt wünschte, er würde auch nur einen Hauch von Interesse an ihr zeigen, mit anderen Frauen lachte, scherzte und sie verzauberte, ohne auch nur einen flüchtigen Blick in ihre Richtung zu werfen.
Das war ein deprimierender Gedanke.
»Es tut mir leid, wenn ich mich verspätet habe«, murmelte sie und drehte sich um, damit ein Lakai ihr den Mantel um die Schultern legen konnte. »Ich konnte mich nicht entscheiden, welches Kleid ich tragen sollte.«
Wie albern das klang, obwohl sie sich doch nicht im Geringsten für ein so oberflächliches Mädchen hielt. Wenn überhaupt, war sie genau das Gegenteil. Die Musik war die große Leidenschaft ihres Lebens, und auch wenn ihre Eltern sie ermahnten, dies nicht in Gesellschaft anderer zu erwähnen, war sie nicht nur eine talentierte Pianistin, sondern zudem mehr als zufriedenstellend gut mit der Harfe, der Flöte und der Klarinette. Ihr wahres Interesse galt jedoch dem Komponieren. Schon jetzt, mit zwanzig
Jahren, hatte sie zwei Sinfonien und zahllose kleinere Werke komponiert. Ständig schien eine Melodie in ihrem Kopf zu spielen, die zu Papier zu bringen nur ganz natürlich für sie war.
Das war natürlich ebenso wenig kleidsam wie die Farbe ihres Haars.
Draußen wartete bereits die Kutsche, und ihr Vater half erst seiner Frau und dann Rebecca hinein. Sie ließ sich auf den Sitz nieder und wappnete sich für die üblichen Vorhaltungen.
Ihre Mutter verlor keine Zeit. »Liebes, Lord Watts wird heute Abend bei den Hamptons sein. Bitte beehre ihn doch mit einem Tanz.«
Der langweilige Lord Watts mit seinem gekünstelten Lachen und dem dünnen Schnurrbart. Und wenn er der letzte Mann auf Erden wäre – ganz abgesehen von seiner zukünftigen Grafenwürde und seinem Vermögen -, sie würde niemals seine Gesellschaft genießen. »Er ist ein aufgeblasener Einfaltspinsel«, sagte sie ehrlich. »Ein Philister, der kein Interesse an den Künsten hat und …«
»Er sieht gut aus, ist wohlhabend und der Sohn eines meiner Freunde«, unterbrach ihr Vater sie mit fester Stimme und unerbittlichem Blick. »Tanz mit ihm. Er ist ganz vernarrt in dich und hat schon zweimal um deine Hand angehalten.«
Warum sollte sie einen Mann ermutigen, den zu heiraten sie überhaupt kein Interesse hatte? Eine berechtigte Frage, doch sie wollte nicht mit ihrem Vater streiten. Stattdessen murmelte sie: »Also gut. Ich kann ihm einen Tanz einräumen.«
»Du könntest vielleicht seinen Heiratsantrag überdenken. Ich wäre für diese Verbindung.«
Für Rebecca würde eine Heirat mit diesem Mann niemals in Frage kommen. Sie schwieg.
Ihre Mutter warf ihr einen tadelnden Blick zu, während die Kutsche über das Kopfsteinpflaster ratterte. »Du wirst dich irgendwann entscheiden müssen .«
Und da viele junge Frauen in ihrem Alter bereits verlobt oder verheiratet waren – unter anderem auch Arabella und Brianna -, musste sie sich bald etwas einfallen lassen. Sie verstand den Standpunkt ihrer Eltern in dieser Frage sehr gut. Aber Rebecca hatte im Grunde bereits eine Entscheidung getroffen. Doch es war eine wahnsinnig unnütze, unmögliche und völlig abwegige Wahl.
Niemand wusste von ihrer geheimen Verliebtheit.
Das Anwesen war hell
Weitere Kostenlose Bücher