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SCHÖN!

SCHÖN!

Titel: SCHÖN! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebekka Reinhard
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irdisch, halb göttlich. Sie wirkt ebenso unschuldig wie selbstverständlich (worin sie den altgriechischen Statuen ähnelt). Alles an dieser Schönheit ist natürlich. Sie ist das Gegenteil einer Drama-Queen. Sie zeigt sich einfach so, wie sie ist: üppig, unbefangen, unbeschwert. Jede Art von Innerlichkeit ist ihr fremd. Dafür transportiert ihr saftig-sinnliches Äußeres jede Menge Lebensfreude.
    Rubens’ »Grazien« weisen noch ein anderes typisches Merkmal der barocken Schönheit auf: fehlende Schwerkraft. Da sie trotz ihrer vielen Kilos über dem Boden zu schweben scheinen, können wir sie beim besten Willen nicht »dick« nennen. Sie sind nicht dick, sondern weich – so wie die Sängerin Beth Ditto, eine zeitgenössische Repräsentantin barocker Schönheit. Ihr Erfolg als Stilikone beweist, dass die Rubens- Fans längst nicht ausgestorben sind.
    DIE MAGISCHE SCHÖNHEIT: Das Magische repräsentiert das Mysteriöse, das sich dem logischen Verstand entzieht. Im alten Griechenland war ein mágos (Zauberer) ursprünglich Mitglied einer altpersischen Priesterkaste. Bezogen auf Kunst und Ästhetik ist »magisch« ungefähr gleichbedeutend mit »märchenhaft«. Das magisch Schöne kann man überall da entdecken, wo die Realität von Gefühl, Geheimnis und Fantasie überlagert wird – zum Beispiel bei den verführerischen Odalisken (Haremsdamen) des 19 . Jahrhunderts von Jean-Auguste- Dominique Ingres ( 1780 – 1867 ).
    Die magische Schönheit ist alles, was die klassische nicht ist: triebhaft, emotional, erotisch. Manchmal auch schauerlich. Sie folgt keinen Regeln, sondern bricht aus ihnen aus. Sie stellt Freiheit über den Kanon. Bei ihr zählt weniger die Form als das Drama, mehr das Sonderbare als das Wunderbare – wie bei Stucks »Salome«. Ihre Schönheit ist wie eine Schlange: nicht rein und unschuldig, sondern lasziv und verführerisch. Sie steht für die Flucht aus der Realität in eine ferne Vergangenheit. Alles, was orientalisch oder jedenfalls irgendwie exotisch anmutet, ist Kennzeichen einer magischen Schönheit.
    Worin ihre äußere Attraktivität besteht, ist nicht leicht auf einen Nenner zu bringen. Es gibt sie in den verschiedensten Versionen: dick, dünn, hellhäutig, dunkelhäutig. Magische Schönheiten haben meist auch etwas Melancholisches an sich, was unsere Aufmerksamkeit weg von ihrem Körper hin zur Unergründlichkeit ihrer Seele führt (s. Teil 2 ). Das ist der Grund, warum sie uns so faszinieren und warum sie trotzdem irgendwie ungreifbar bleiben – wie viele hoch talentierte, divenhafte (s. Kap. 5 ), jung verstorbene Stars der Showbranche, von James Dean zu Amy Winehouse. Aber auch Comicfiguren können mit ihrer Magie bezaubern. Besonders Donald Duck. Aufgrund seines breiten Spektrums tiefer Emotionen (von blinder Wut bis tiefer Trauer), die er in unverständlicher Enten sprache äußert, ist auch dieser notorische Pechvogel zu den magischen Schönheiten zu rechnen.
    DIE MODISCHE SCHÖNHEIT: »Modisch« wurde im 17 . Jahrhundert dem französischen Wort für Mode – Brauch, Sitte, »gerade herrschende Richtung in der Kleidung« – entlehnt. Die modische Schönheit drückt der menschlichen Erscheinung in Form von Röcken, Hüten, Hauben, Tüllschleifen, geknüpften Halsmaschen, Schmachtlocken und Haarknoten ihren Stempel auf. Sie setzt Akzente, die man nicht so schnell vergisst. Was wäre Dürer ohne seine »Jesus Christ Superstar«-Frisur? Die modische Schönheit imponiert weder durch klassische Vollkommenheit noch barocke Fülle noch magisches Geheimnis. Ihre Stärke ist es, den Geist einer Epoche und die traditionelle Zugehörigkeit eines Menschen zu einer bestimmten Klasse, zu einem bestimmten Gesellschaftsstand zum Ausdruck zu bringen. Da sie im Laufe von Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten die abenteuerlichsten Wandlungen vollzieht, heißt modisch schnell nur noch: altmodisch. Das gilt für Höckerhauben und Halskrausen ebenso wie für Rokokoperücken und Schulterpolster. Wenn das Modische historisch wird, verliert es leicht seine Schönheit (d. h. seine Aktualität, s. Kap. 2 ).
    Die modische Schönheit kann nie für sich selbst bestehen, nur immer im Verbund mit der klassischen. Nur dann haftet ihr – wie bei Dürers Selbstporträt – etwas Zeitloses an. Das sehen wir exemplarisch an David Beckham: Ohne die klassischen Proportionen seines Gesichts hätte seine Wollmütze kaum die gleiche Wirkung. Popstar Lady Gaga dagegen verkörpert die modische Schönheit in Reinform:

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