SCHÖN!
die ihre fester Bestandteil der Kunstgeschichte ist.
Abb. 8: Peter Paul Rubens, Drei Grazien, ca. 1635
Aber Rubens-Frauen sind nicht die Einzigen, die zu einer Revision des eigenen (negativen) Körperbilds einladen. Auch die »Salome« ( 1 906 ) des Jugendstilmalers Franz von Stuck ( 1863 – 1928 ) ist ein großartiges Identifikationsmodell für alle, die nicht dem sadistischen Size-Zero-Ideal entsprechen. Salome, aus dem Neuen Testament als Tochter der Herodias bekannt, forderte einst als Belohnung für ihre Tanzkunst den Kopf Johannes’ des Täufers. Stuck interpretiert sie als verruchtes Weib, den reich mit Edelsteinen behängten Hals lasziv nach hinten gebogen, wie es dem Zeitideal der Femme fatale entsprach. Hinter ihr eine grässliche Erscheinung: ein Diener, der Johannes’ Haupt auf einer Schüssel präsentiert. Salomes weiß glühende Haut hebt sich überdeutlich vom sternenübersäten Nachthimmel ab. Die schlangengleiche Bewegung, die Salome mit dem rechten Arm vollzieht, mag noch so elegant sein – ihr vorgewölbtes Bäuchlein ist nicht zu übersehen.
Abb. 9: Franz von Stuck, Salome, 1906
Franz von Stuck macht uns mit der irritierenden, verstörenden Variante der Schönheit bekannt: Seine Salome ist wild, unberechenbar und ausladend. Stuck inszeniert sie als strahlenden Mittelpunkt einer grausamen Szene, nicht um zu provozieren, sondern weil er zum Träumen verführen will. Für ihn ist Schönheit nicht mit dem Maßband zu erfassen, sondern nur mit der eigenen Fantasie.
Die bildende Kunst ist unser Kompass im Dschungel der Schönheiten. Durch die Brille der Kunst wird das, was vorher verschwommen war, plötzlich glasklar. Plötzlich verstehen wir, warum uns gefällt, was uns gefällt. Wir haben bestimmte Kriterien entwickelt, anhand derer wir unseren ganz persönlichen Geschmack etwa einer der folgenden Kategorien zuordnen können:
DIE KLASSISCHE SCHÖNHEIT: Klassisch schön heißt vollkommen, vorbildlich, allgemein anerkannt. Das ist vor allem die antike Kunst. Daran anschließend sind es alle Darstellungen, die sich am antiken Schönheitsideal orientieren – besonders die Kunst der Renaissance, die die Antike als Vorbild wiederentdeckte und ihre Regeln studierte. »Klassisch« kommt vom lateinischen Wort »classicus«, einst die Bezeichnung für die obersten Volksklassen. Später nannte man auch Künstler, die erstrangige Meisterwerke schufen, klassisch.
Der Inbegriff des Klassischen und der klassischen Idealmaße des Körpers sind die männlichen Statuen des griechischen Bild hauers Polyklet (tätig um 45 0 – 410 v. Chr.). Der Münchner Kouros ist exemplarisch für das Proportionsideal einer älteren Zeit. Seine Vollkommenheit ergibt sich aus der Ausgewogenheit der sich gegenseitig tragenden Waagrechten (Augen, Mund, Schultern, Brust) und Senkrechten (Scheitel, Nase, Gliedmaßen).
Nach Meinung des römischen Architekten Vitruv (ca. 8 5 – ca. 15 v. Chr.) geht es beim Schönen um Verhältnisse, die man errechnen kann. Laut Vitruv entspricht die Schönheit von Bauwerken, Skulpturen und Gemälden der der Natur, die »den menschlichen Körper so schuf, dass der Schädel vom Kinn bis zum oberen Teil der Stirn und dem Haaransatz ein Zehntel der Körperlänge misst«. Nicht nur Leonardo da Vinci, auch Albrecht Dürer war mit den Vitruv’schen Maß- und Zahlenverhält nissen wohlvertraut. Sein »Selbstbildnis im Pelzrock« ist – trotz der modischen Akzente – ein klarer Fall von (messbarer) klassischer Schönheit: Es hat rein gar nichts Zufälliges oder Improvisiertes, sondern folgt klaren Gesetzen und Regeln. Das Ergebnis: ein perfekt harmonisches und symmetrisches Gesicht.
Wann immer Schönheit aus Formstrenge resultiert, können wir von einer klassischen Schönheit sprechen. Greta Garbo, Gary Cooper, Grace Kelly und viele andere Hollywoodstars kommen diesem Ideal ziemlich nahe. Ihr Wiedererkennungs wert liegt in keiner einzigen physiognomischen Besonderheit – außer ihrer Wohlproportioniertheit.
DIE BAROCKE SCHÖNHEIT: Barock (vom französischen Wort »baroque« für schief, unregelmäßig) ist alles, was mit Opulenz und Formenfülle zu tun hat, mit Entgrenzung, Bewegung, Sinnlichkeit. Das barocke Körperideal – speziell das des weiblichen Körpers – spiegelt sich noch lange nach Rubens in Werken von Künstlern wie Pierre-Auguste Renoir oder Fernando Botero.
Die Rubens-Schönheit ist zwischen Diesseits und Jenseits, Realität und Mythos angesiedelt. Ihre Nacktheit ist halb
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