SCHÖN!
prüfen, sei es, um seiner Eitelkeit ein wenig heilsam zu begegnen: ich lachte und erwiderte – er sähe wohl Geister!«
Aber als der Knabe versucht, die Geste zu wiederholen, verliert er seine Anmut; beim zehnten Versuch wirkt seine Bewegung nur noch gestelzt. Kleist:
»Von diesem Tage, gleichsam von diesem Augenblick an, ging eine unbegreifliche Veränderung mit dem jungen Menschen vor. Er fing an, tagelang vor dem Spiegel zu stehen; und immer ein Reiz nach dem anderen verließ ihn. Eine unsichtbare und unbegreifliche Gewalt schien sich, wie ein eisernes Netz, um das freie Spiel seiner Gebärden zu legen, und als ein Jahr verflossen war, war keine Spur mehr von der Lieblichkeit in ihm zu entdecken, die die Augen der Menschen sonst, die ihn umringten, ergötzt hatte.«
Wie in der Literatur, so auch im wirklichen Leben: Je eifriger und gezielter man sich darum bemüht, schöner, jünger, modischer zu wirken, desto mehr verliert man an Anziehungskraft. Das ist das Schönheitsparadox. Die kalkulierte Schönheit hat immer etwas Starres, Verbissenes an sich. Frauen wie Heidi Klum fehlt die Nonchalance und Selbstvergessenheit der kleistschen Marionette. Sie sind viel zu kontrolliert, um graziös zu sein. Sie wissen zu sehr über ihr Aussehen Bescheid. Ihre Schönheit ist stahlhart, mehr Rüstung als Zauber. Ihr fehlt es an Tiefe. Sie ist so glatt und flach wie der Spiegel in Kleists Erzählung, der die Reize seines Gegenübers stiehlt.
Spiegel können Proportionen erfassen, aber sie sind schlechte Berater, wenn es darum geht, schön von unschön zu unter scheiden. Sie zeigen uns unseren Körper (fast) immer so, wie wir ihn nicht sehen wollen, und (fast) nie so, wie andere ihn sehen. Sie präsentieren nur das, was wir haben, nicht das, was wir sind. Sie reduzieren uns auf Haut, Knochen, Fleisch und Haar. Kurz: Spiegel sind ziemlich blind. Wir schauen sie erwartungsvoll an, und sie glotzen völlig unbeeindruckt zurück.
Klassisch, barock, magisch oder modisch? Die bildende Kunst (s. Kap. 3 ) liefert wichtige Indizien, was eine ästhetisch reizvolle Erscheinung ausmachen kann. Was aber am lebendigen Menschen wirklich »schön« ist, ist weder auf einem Gemälde noch auf einer Fotografie leicht zu erkennen. Etwas Unbewusstes, Unberechnetes, das nicht beim Posieren, sondern erst in Bewegung zum Vorschein kommt. Es gibt so viele Arten von Schönheit, wie es Menschen gibt, und nicht jede ist unmittelbar sichtbar. Je besser wir uns darin üben, Attraktivität bei anderen zu erkennen, desto sicherer können wir unsere eigene beurteilen. Bei Schönheiten gibt es wie bei Kunstwerken unterschiedliche Qualitäten. Es gibt Meisterwerke und Werkstattarbeiten, Originale und Fälschungen. Wenn wir an einer Straßenecke mit zwei gleichermaßen wohlproportionierten Frauen zusammenstoßen – die eine blond und drall, die andere blass und schlank –, heißt das noch lange nicht, dass sie uns auch gleichermaßen faszinieren. Wenn wir Glück haben, erinnert uns die erste an die Venus von Botticelli und die zweite an Greta Garbo. Wenn wir Pech haben, lassen uns beide so kalt wie ein trockenes Schnitzel. Ein schönes Gesicht und schöne Gliedmaßen machen noch keine schöne Frau.
Alles, was an einer Frau äußerlich schön wirkt, ist dem Lauf der Zeit unterworfen. Ein attraktiver Körper bekommt streng genommen schon nach zwanzig Jahren erste Risse. Von dort bis zum Tod ist es meist noch eine halbe Ewigkeit. Die schöne Verpackung so lange zu konservieren, ist eine riesige Herausforderung, die wahlweise mit Kosmetika, chirurgischen Ein griffen, Sport oder – die von Marlene Dietrich bevorzugte (kontraproduktive) Variante – mit Alkohol gemeistert werden kann. Die philosophische Alternative heißt: Wer schön sein will, muss lernen.
Aus philosophischer Sicht laufen die meisten Anstrengungen, Schönheit zu erwerben, zu verbessern, zu erhalten oder wiederherzustellen, ins Leere, da sie sich mit leidenschaftlicher Ausschließlichkeit auf Oberflächenphänomene konzentrieren: das strähnige Haar, das schlaffe Bindegewebe, das Schlupf lid. Aber Schönheit ist nie nur an der Oberfläche eines Menschen zu finden. Sondern dort, wo sich Äußeres und Inneres überlagern. Dort, wo sich (außen) das zeigt, was man (innen) ist . Es gibt drei sichere Kennzeichen äußerer Schönheit, die man weder kaufen kann noch einfach so von der Natur geschenkt bekommt – die sich nur von innen heraus entwickeln lassen:
ANMUT: Wirklich schön kann nur sein,
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