SCHÖN!
den Weltraum, Michael Jackson mit Propofol und Whitney Houston mit Kokain. Na und? Alle drei zählen zu den größten Stars, die unser Planet je hervorgebracht hat.
Der wohl am grellsten leuchtende irdische Stern aber ist Liz Taylor. Sie verzichtete auf die drogeninduzierte Beförderung zum Fixstern. Stattdessen ließ sie sich für ihren Kampf gegen AIDS von Königin Elisabeth II. in den Adelsstand erheben. So gelang »Dame Elisabeth«, was außer ihr kaum eine andere Diva schaffte: eine nochmalige Verwandlung vom Sublimen ins Würdevolle …
»Es ist eine Sache, eine Idee zu erklären, und eine ganz andere, diese Idee auf die Vorstellungskraft einwirken zu lassen. Die Dinge, die wir nicht verstehen, sind es, die all unsere Bewunderung erregen und hauptsächlich unsere Leidenschaften anstacheln«, schrieb Edmund Burke.
Die Seele der Diva zählt zu den rätselhaftesten Phänomenen überhaupt. Man kann sie interpretieren, aber nicht verstehen. Sie sperrt sich gegen jeden endgültigen Entschlüsselungsversuch – um nach außen jenes erhabene Strahlen zu entfalten, von dem wir uns nicht losreißen können.
Das Phänomen Diva beweist: Nicht immer ist es eine schöne, um Wahrheit und Moralität bemühte Seele, die einen Menschen anziehend macht. Im Gegenteil. Das verführerischste Charisma steckt in den abgründigsten Menschen. In Menschen, denen jedes Mittel recht ist, um die Wahrheit nach ihren Wünschen zu formen … → Kapitel 6
»Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang …«
Rainer Maria Rilke
6 Schöne Lügner:
Warum Illusionen so verführerisch sind
Charisma ist eine besondere Art der Ausstrahlung, die alle Blicke auf sich zieht. In religiöser Hinsicht bezeichnet Charisma – vom altgriechischen Wort chárisma für »Gnadengabe« – die Fähigkeit, Offenbarungen oder Erleuchtungen zu empfangen. In der Showbranche ist es eine diventypische Eigenschaft (s. Kap. 5 ), die zur Mythenbildung beiträgt. Manchmal wächst Charisma auf dem Boden reiner Seelen. Manchmal ist es eine Waffe, die der Manipulation von Massen dient.
Was geschehen kann, wenn diese Waffe von einem Profi eingesetzt wird, zeigte sich am 28 . November 1978 . An diesem Tag werden in der Jonestown-Siedlung in Französisch-Guyana die Leichen von 913 Menschen gefunden, darunter 2 76 Kinder und Babys, alle Mitglieder der amerikanischen Sekte »People’s Temple« (»Tempel des Volkes«). Die meisten sterben auf Geheiß ihres Anführers James Warren Jones an einer mit Zyankali versetzten Limonade. Wer sich weigert zu trinken, wird erschossen. Während die Toten von Helfern einer nach dem anderen zu Boden gelegt werden, sitzt Jones, schweißgebadet und vollgepumpt mit Barbituraten, auf seinem hölzernen Thron auf einer Empore. Ein Rinnsal von schwarzem Haarfärbemittel läuft von seinen Koteletten zu seinem Mund. Mit schwerer Zunge hält er eine Ansprache, deren letzter überlieferter Satz lautet: »(W)ir haben aus Protest gegen die Zustände einer unmenschlichen Welt einen Akt des revolutionären Selbstmords begangen.«
Das Jonestown-Massaker ging als die größte kollektive Selbsttötung seit dem Jahr 73 n. Chr. in die Geschichte ein (damals nahmen sich 960 Juden in der Festung Masada am Toten Meer das Leben, um nicht den römischen Besatzern in die Hände zu fallen). Warum? Wie kann es sein, dass so viele in einem seelisch schwer gestörten Menschen ihren charismati schen Anführer, ihren »Vater« (»Father«) sahen? Worin bestand Jim Jones’ Attraktivität? Was war so »schön« an ihm?
Jones, 1931 in Indiana geboren, ist ein von den Eltern weitgehend vernachlässigtes Kind, das mit Vorliebe Begräbniszeremonien für Tierkadaver ausrichtet. Jones spielt auch gern mit seinen Kumpels Kirche, wobei er stets die Rolle des Predigers übernimmt. Mit neunzehn tritt er ohne jegliche Qualifikation eine Pfarrstelle in einer Methodistengemeinde an. 1956 gründet Jones seine erste eigene Kirche »People’s Temple«, eine Sekte, die vorgeblich für Rassengleichheit eintrat. In der Heilslehre, die der spätere Massenmörder propagiert, vermengt sich christliches Gedankengut mit den Lehren von Karl Marx, Fidel Castro, Martin Luther King, Gandhi, Josef Stalin sowie Adolf Hitler. Jones gibt einer wachsenden Anzahl von Bedürftigen eine Heimat – um sie durch sexuellen Missbrauch, Gehirnwäsche und ein ausgefeiltes Bespitzelungssystem gefügig zu machen. Während seiner bis zu sechsstündigen Gottesdienste stellen sich stets einige
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