SCHÖN!
Erlöserfigur. Die meisten erkennen zu spät, dass sich hinter dem »Schönen« das Böse verbirgt.
Die Maske des vermeintlichen Messias verschönert auch die Hässlichsten – von Hitler zu Jim Jones, von Slobodan Milo š e v i ´ c zu Osama bin Laden. Immer wieder gelingt es Kapital verbrechern, die Macht an sich zu reißen – mit den immer gleichen Täuschungen:
EMOTIONALISIERUNG: So sehr sich Hitler anfangs im kleinen Kreis mit seinen Ansprachen über die Politik und die Juden lächerlich macht, so groß ist seine hypnotische Wirkung auf die Massen. Seine an sich inhaltsarmen und unstrukturierten Reden versetzen die unterschiedlichsten Zuhörer in einen kollektiven Trancezustand. Wie Jones ist Hitler ein geborener Prediger. Reichspropagandaminister Goebbels vergleicht seine Auftritte mit Gottesdiensten. Pathetische Inszenierungen wie der aus Flakscheinwerfern gebildete monumentale »Lichtdom« beim Reichsparteitag 1936 in Nürnberg tragen dazu bei, dem Publikum den letzten Funken kritischen Verstands zu rauben und ihm vorzugaukeln, Zeuge einer Epiphanie, eines nie da gewesenen Aufbruchs zu sein. Eines Aufbruchs wohin? »Es ist nicht so sehr von Belang, woran wir glauben; nur dass wir glauben«, schreibt Joseph Goebbels.
Wenn der Einzelne in einer Menge aufgeht, geschieht etwas Merkwürdiges: Sein Denken wird von Emotionalität und Triebhaftigkeit geradezu überschwemmt. In seiner bis heute aktuellen Untersuchung Psychologie der Massen vergleicht der französische Soziologe Gustave Le Bon ( 1841 – 1931 ) die »Kollektivseele« der Menschenmasse mit dem Innenleben von Naturvölkern und kleinen Kindern. Die Masse, so Le Bon, ist leicht lenkbar und spontan begeisterungsfähig. Sie reagiert nur auf übertriebene Reize. Vor allem aber erliegt sie der magischen Macht von Worten: »Mit Vernunft und Argumenten kann man gegen gewisse Worte und Formeln nicht ankämpfen. Man spricht sie mit Andacht vor den Massen aus, und sogleich werden die Mienen respektvoll und die Köpfe neigen sich.«
Von ihrem Führer und sich selbst gleichermaßen berauscht, verliert die Masse ihr Urteilsvermögen – und damit den Bezug zur Wirklichkeit. So ist es nur natürlich, dass sie lieber glauben als wissen will, dass sie der Rationalität das Dogma vorzieht, dem Realen das Irreale.
Die Illusion von der großen Zeit, in der man lebt, und von der noch großartigeren Zukunft, in der man leben wird, lässt das Irreale real werden. Sie führt zu einer Kultur der emotionalen Übereinstimmung, die gemeinsame Wünsche und Hoffnungen und eine Aufbruchsstimmung sondergleichen schafft. So erklärt sich, warum halbgebildete Schwerverbrecher mit Gottgesandten verwechselt werden können. So wird auch klar, warum Hitler und Jones alles unternehmen, um den logischen Verstand ihrer Jünger möglichst dauerhaft auszuschalten und ihre wahren Absichten zu verschleiern: Hitler durch Monumentalfeiern und Gleichschaltung, Jones durch stundenlange Indoktrination und ein streng hierarchisches soziales Kastensystem.
»GRÖSSE«: 1930 konstatiert Hitler in der Parteizentrale der NSDAP, er erwarte, dass sich die Welt an seinen Anspruch auf politische Unfehlbarkeit gewöhne, »wie sie sich an den Anspruch des Heiligen Vaters gewöhnt hat«.
Die Deutschen nehmen diesen Größenwahn lange wie selbstverständlich hin. Für die meisten folgt die Größe Hitlers gleichsam naturgemäß aus der Großartigkeit seiner angekündigten Taten. Nicht nur in Deutschland, in allen hoch entwickelten Kulturen ist »Größe« ein männlicher Mythos. »Große« Feldherren, Könige, Politiker und Unternehmer schreiben in jedem Fall Geschichte, auch wenn ihre Errungenschaften mit zahlreichen Grausamkeiten erkauft sind. Solange das Misshandeln, Versklaven und Töten von Menschen einem höheren Zweck dient – dem Bau von Pyramiden, Tempeln, Schlössern, Imperien aller Art –, wird es mit Stärke, Kontrolle, Entschlossenheit, Leistung assoziiert. Wie wir an Hitler, Jones und Co. sehen, gehen aber auch die, die weitaus mehr verbrechen als leisten, in die Geschichte ein. Größe ist Größe. Auch wenn sie noch so fraglich ist.
Alle großen Männer werden zu solchen durch die Masse, die sie in ihrem Streben unterstützt oder sie zumindest nicht darin behindert. Ohne Masse keine Größe. Warum neigen Menschen immer wieder dazu, einen der ihren so »schön« groß zu finden, dass sie ihm nicht nur in allem gehorchen, sondern sogar eine leidenschaftliche Zuneigung zu ihm
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