SCHÖN!
Anhänger krank, damit »Vater« an ihnen Wunderheilungen vornehmen kann. Das Geld seiner Jünger investiert er in Sozialeinrichtungen und in die Politik. Er wird Mitglied und Sprecher des Bezirksschwurgerichts. Die Zeitung Los Angeles Herald ernennt ihn zum Humanisten des Jahres, und die »Martin Luther King Foundation« verleiht ihm einen Preis für seine Verdienste um die Menschlichkeit. 1974 nimmt er mit über tausend Anhängern in Guyana das »Landwirtschaftliche Projekt Jonestown« in Angriff, sein »Gelobtes Land«, das Schutz vor den Rassisten dieser Welt verspricht. Das sogenannte Paradies mutiert nach und nach zu einem streng bewachten Konzentrationslager, dem nur wenige lebend entkommen.
Die Schönheit einer Illusion
»(S)ein Gesicht war liebevoll … Der Blick aus seinen dunkelbraunen Augen war fest, verständnisvoll und warm«, schrieb das ehemalige Sektenmitglied Deborah Layton über ihre erste Begegnung mit Jim Jones.
»Ich habe mich dort … mit dieser ›Vaterfigur‹ geborgen gefühlt. Daran kann ich immer noch mit Wärme zurückdenken«, schrieb Traudl Junge, Adolf Hitlers letzte Sekretärin, über ihren Vorgesetzten. Hitler zählte zu Jones’ wichtigsten Inspirationsfiguren.
Auf Fotografien von Jones ist das Charisma dieses schmierigen Typen nur an den bewundernden Blicken der anderen zu erkennen. Das Gleiche gilt für Hitler, der mit seinem abgezirkelten Oberlippenbart und seiner schlecht sitzenden Uniform eine ziemlich armselige Figur abgab. Bei Jones und Hitler hätte wohl auch ein Profistyling keine Verbesserung bewirkt. Das Merkwürdige ist: Es wäre auch gar nicht nötig gewesen. Denn nichts ist charismatischer als die Illusionen, die diese Männer so meisterhaft verkörperten.
Hitler faszinierte die Massen nicht durch das, was er war, sondern durch das, was er nicht war: eine Vaterfigur, ein Erlöser, eine große politische Autorität. Was wir heute in ihm sehen, ist die Lüge. Was seine Anhänger damals in ihm sahen, war die Wahrheit. Zu manchen Zeiten und an manchen Orten stellt sich die Lüge wahrer – und schöner – dar als die Wahrheit.
Abb. 13: Sektengründer Jim Jones
Wie Jim Jones begann der geborene Österreicher Hitler als absoluter Dilettant. Er brach die Realschule ab und scheiterte an der Aufnahmeprüfung für die Wiener Kunstakademie. Bis zu seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr führt er eine »Frührentner- und Bohemeexistenz«, wie es der Historiker Sebastian Haffner ( 1907 – 1999 ) in seinen Anmerkungen zu Hitler formuliert. Nach dem Ersten Weltkrieg schließt sich Hitler in München der antisemitischen deutschen Arbeiter partei an, die – dank Hitler – als »Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei« bald zu einer Massenbewegung heranwächst. 1933 , als er Reichskanzler wird, gibt es noch knapp fünf Millionen Arbeitslose, drei Jahre später herrscht Vollbeschäftigung. Es ist dieser Anfangserfolg, durch den Hitler das Volk für sich gewinnt und der seine Kritiker mehr und mehr verstummen lässt.
Abb. 14: Adolf Hitler, um 1938
Wie Jim Jones tritt auch Hitler mit einer ganz eigenen Vorstellung vom Paradies an: der Vorherrschaft der blonden, blauäugigen, athletischen germanisch-deutschen Rasse über ein Heer minderbemittelter Nachbarvölker. Für viele deutsche Frauen ist der »zuckersüße Adolf« (so ein zeitgenössischer Fanbrief) ein Traummann. Dass weder der Führer selbst noch sein engster Kreis, der pausbäckige Heinrich Himmler, der schmächtige Joseph Goebbels und der vierschrötige Hermann Göring, auch nur ansatzweise dem ästhetischen Ideal des »Ariers« entsprechen, scheint niemanden zu stören.
Als sich der Zweite Weltkrieg nicht so entwickelt, wie Hitler es sich vorstellt, und als ihm klar wird, dass sich die Deutschen doch nicht als europäisches »Herrenvolk« eignen, wendet er sich gegen sie. 1941 stellt er fest:
»Ich bin auch hier eiskalt. Wenn das deutsche Volk einmal nicht mehr stark genug ist, sein Blut für seine Existenz einzusetzen, so soll es vergehen und von einer anderen, stärkeren Macht vernichtet werden. Ich werde dem deutschen Volk keine Träne nachweinen.«
Am Kriegsende hat er nicht nur »das Ungeziefer« vertilgt (fünf bis sechs Millionen Juden), sondern auch dafür gesorgt, dass von Deutschland nicht mehr als eine Trümmerwüste übrig ist. Hitler begeht wie sein Bewunderer Jones Selbstmord. Wie Jones reißt er die mit in den Tod, die ihn als etwas liebten und bewunderten, das er niemals war: eine
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