SCHÖN!
Tragödie ein zwangsläufiges Geschehen ist, hat alles, was der Diva widerfährt, eine innere Logik. Auf hell muss dunkel folgen, und auf dunkel rabenschwarz. Die Callas muss trotz des zunehmenden Verfalls ihrer Stimme weitersingen. Elvis und Liz Taylor müssen ihre äußere Schönheit zerstören (indem sie in Rekordzeit Hamburger, Eiscreme, Erdnussbutter und Chocolate-Chip-Kekse in sich hineinstopfen). Und Marilyn muss immer unfähiger werden, ihre Texte zu behalten. Für den Verlauf der Tragödie ist es geradezu zwingend, dass sie während der Dreharbeiten zum Film Manche mögen’s heiß die Zeile »Wo ist der Bourbon?« siebzig Mal wiederholen muss, bevor sie ihr fehlerfrei über die Lippen kommt. Sie kann nicht anders, als ihren Regisseur Billy Wilder an den Rand des Nervenzusammenbruchs zu treiben – sie muss immer neue Grenzen überschreiten. Bis zur letzten Grenze: dem Tod.
Aber Drama allein macht noch keine Diva. Hinzu kommen müssen das stellare Strahlen – und eine geradezu unheimliche Sonderbegabung. Kein Regisseur hätte mit der unerziehbar mimosenhaften, selbstunsicheren, launischen Marilyn drehen wollen, wenn das Ergebnis nicht so phänomenal gewesen wäre. Kein Mensch hätte Elvis Presley angeschmachtet, wenn sein Gesang ohne künstlerischen Eros gewesen wäre. Ohne Elvis hätte es keine Beatles und keine Rolling Stones gegeben. Ohne ihn hätte ein Bürschlein namens Justin Bieber nicht die geringste Chance gehabt.
Berühmte Künstler sind schwierig. Aber sind sie schwierig, weil sie Künstler sind, oder weil sie berühmt sind? Was war zuerst da – die Henne oder das Ei? Und woran liegt es, dass alle Diven in gleicher Weise schwierig sind? Wenn wir die see lische Schnittmenge von Marilyn, Liz, Romy und Co. berechnen, erhalten wir folgendes Ergebnis:
• einen enormen Geltungsdrang und Ehrgeiz aufgrund einer überdimensionalen Sehnsucht nach Aufmerksamkeit
• Selbstzweifel, Ängste und Depressionen
• Süchte: Alkoholsucht, Drogensucht, Sexsucht, Fresssucht, Magersucht
• impulsive, unüberlegte Handlungen
• unberechenbare Stimmungsschwankungen
• die Unfähigkeit, eine stabile Beziehung zu führen und treu zu sein
Keine Diva ist mit einer anderen verwandt. Woher also diese erstaunliche Übereinstimmung? Für den Psychiater Borwin Bandelow ist der Fall klar: Nahezu jeder als Diva, Star oder Celebrity bekannt gewordene Mensch erfüllt die Kriterien des Borderlinetyps einer »emotional instabilen Persönlichkeitsstörung« – so seine Ferndiagnose. Nach dem internationalen Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeichnen sich Borderliner durch ein unbeständiges Selbstbild, selbstzerstörerisches Verhalten, unklare Ziele und einige andere Eigenschaften aus, die einem glücklichen Leben ziemlich abträglich sind. Laut Bandelow werden Künstler zu Berühmtheiten, nicht obwohl, sondern weil sie Borderliner sind. In seinem Buch Celebrities führt er den Ehrgeiz, den Narzissmus und das unverwechselbare Charisma der Stars gleichermaßen auf eine kranke Psyche zurück. Seine These ist verblüffend einleuchtend. Wenn Liz Taylor die Innenräume ihrer Jacht mit Louis-XIV-Stühlen und Regency-Sofas ausstatten lässt und »Pockmarks« einen Lafite Rothschild zum Lunch serviert, sind dies natürlich nichts anderes als »impulsive, unüberlegte Handlungen«. Wenn Richard Burton »Fatty« einen Diamanten für 1 , 1 Millionen Dollars kauft und ihr anschließend eine obszöne Beleidigung an den Kopf wirft, kann es sich ja nur um eine »unberechenbare Stimmungsschwankung« handeln. Liz’ acht geschiedene Ehen untermauern die Borderlinethese ebenso wie Marilyns Depressionen und Elvis’ geheimnisumwobene Sexualität. Das Problem ist nur: Die psychiatrische Gestörtheit erklärt noch lange nicht, woher das übernatürliche Showtalent und der eiserne künstlerische Selbstverwirklichungstrieb der Diva stammen.
Am Ehrgeiz allein kann es nicht liegen, dass Elvis Presley auf die Idee kam, die Grenzen zwischen weißer Countrymusik und schwarzem Rhythm-and-Blues einzureißen, was nichts weniger als eine Kulturrevolution bewirkte. Seine Medikamenten abhängigkeit mag auf ein tief greifendes seelisches Problem hinweisen – nicht aber sein Talent, das ebenso exzessiv war wie sein (späterer) Lebensstil. Die ungeheure Anziehungskraft von Elvis kann nicht allein daher rühren, dass er einen Sprung in der Schüssel hatte. Wie hätte Friedrich Nietzsche Bandelows These bewertet? Er hätte wohl eine
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