SCHÖN!
Unendliches, das über alle Grenzen hinausragt. Er haben nannten Philosophen aller Zeiten das, was durch Denken nicht durchdrungen werden kann. Was in jeder Weise unfassbar ist: Gott. Den Ozean. Die Poesie …
Der irische Philosoph Edmund Burke ( 17 29 – 1797 ) verbindet die Begegnung mit dem Erhabenen mit einem halb lustvollen, halb schrecklichen Gefühl. Laut Burke provoziert das Erhabene in uns Schrecken, Erstaunen und Fassungslosigkeit, aber auch Bewunderung, Ehrfurcht und Respekt. Der Grund hierfür, schreibt er in seinem Werk Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen, besteht in der Rätselhaftigkeit des Sublimen. Denn der Mensch kann nur etwas fürchten bzw. verehren, was jenseits seiner Vorstellungskraft liegt. Wie die unermessliche Weite einer Landschaft, das unendliche Rauschen eines Wasserfalls oder die Unüberschaubarkeit des Sternenhimmels. Das Unvorstellbare verwirrt und irritiert – es scheint irgendwie schmerzhaft und gefährlich zu sein (im Gegensatz zum Schönen, das Burke mit weiblichen Attributen wie Zartheit, Grazie, Eleganz und Schwäche assoziiert). Solange das Erhabene aber bloß als fiktive Bedrohung daherkommt, können die von ihm ausgelösten Gefühle durchaus angenehm sein. Zum Beispiel für das Publikum einer gelungenen Theateraufführung: »Je mehr (eine Tragödie) dem wirklichen Leben ähnelt und je weniger einer Fiktion, desto vollkommener ist ihre Wirkung.«
Wann immer wir »lustvollen Horror« empfinden, können wir sicher sein, dass wir es mit dem Erhabenen zu tun haben – einer Ästhetik des Schreckens. Für Burke steht fest: Sofern wir nicht selbst betroffen sind, lieben wir es, uns an schrecklichen Dingen zu erfreuen: »Zweifellos muss mein Leben außer Gefahr sein, bevor ich mich am realen oder imaginären Leid anderer ergötzen kann.«
Mit Burke kommen wir der geheimnisvollen Anziehungskraft der Diva noch ein Stück näher. Aufgrund ihrer ausgeprägten dunklen Seiten, der Verwandtschaft ihres Lebens mit der Tragödie und ihrer dem Rausch zugeneigten Seele ist die Diva eindeutig mehr erhaben als schön zu nennen. Genauer: Je älter sie wird und je deutlicher ihre seelische Verfasstheit zum Vorschein kommt, desto mehr weicht ihre Schönheit der Erhabenheit. Liz Taylor ist ein Paradebeispiel. Ihre Metamorphosen von der zarten Elfe zur aufgedunsenen Trinkerin zur gelifteten, überschminkten Rollstuhlfahrerin sind legendär. Mit jeder Transformation wurde sie gewaltiger, schreckenerregender, dionysischer – und verehrungswürdiger. Bis sie den Status einer Unsterblichen erreichte.
Darin gleicht sie Elvis Presley, der in seinen späten Auftritten wie eine Karikatur seiner selbst erschien und seine Standardsongs in immer der gleichen Abfolge wie alberne Kinderlieder herunternudelte. In der Liveshow »Aloha from Hawaii«, die 1973 via Satellit in über 40 Länder übertragen wurde, erscheint Diva Elvis in einem an Geschmacklosigkeit kaum zu überbietenden, strassbesetzten, tief ausgeschnittenen weißen Overall und Blumenkranz. Es ist nicht ganz klar, wie ernst Elvis »Elvis« zu diesem Zeitpunkt seines Lebens nimmt, ob er während des Konzerts noch er selbst ist oder sich selbst bloß noch spielt. Seine Darbietung ist halb lustlos, halb selbstironisch – und erzeugt so »lustvollen Horror« (Burke). Der Künstler ist kein Wirbelsturm mehr, nur noch ein laues Lüftchen. Die einstige Naturgewalt ist bloß noch andeutungsweise zu erkennen: an einer kleinen Zuckung, einem vorsichtigen Ausfall schritt. Wie in den 1950 er-Jahren toben die Frauen, wenn er sein schweißtriefendes Taschentuch in die Menge wirft. Mit einem einzigen Unterschied: Damals tobten sie wegen seiner Performance – jetzt wegen seiner Präsenz. Ein paar sparsame Gesten reichen, um das Publikum in Ekstase zu versetzen. Denn in jeder ist sein übermächtiger Genius konserviert, für immer einbalsamiert. Elvis erscheint als Erhabenheit in Person.
Jede Diva möchte ein Zentralgestirn sein. Und jede hat ihre ganz persönliche Strategie, um es so lange wie möglich zu bleiben. Auch dann, wenn die künstlerische Kraft nachlässt. Der sublime Elvis ließ sich (von Präsident Nixon persönlich) zum Agenten der amerikanischen Rauschgiftbehörde ernennen: So konnte er, unbehelligt von Polizeikontrollen, als offizieller Drogenfahnder seinen riesigen Medikamentenbestand überall hin mitschleppen – und nach Herzenslust konsumieren. Elvis Presley beamte sich mit Tabletten in
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