SCHÖN!
folgt, dessen Leben ist ebenso glücklich wie moralisch einwandfrei. Er braucht sich nicht mit Gelüsten herumplagen, die er ohnehin nie endgültig befriedigen kann, sondern hat Zeit, sich hier und jetzt darauf zu konzentrieren, ein guter Mensch zu werden.
Solange wir es nicht erlauben, kann nichts die natürlichen Freuden beeinträchtigen. Nicht einmal körperliche Schmerzen: Laut Epikur stellen weder Rücken- noch Regelschmerzen eine Gefahr für das schöne Leben dar: Wenn der Schmerz gering ist, ist er immer erträglich und kann die Freude der Seele nicht trüben; wenn er stark ist, geht er schnell vorbei; wenn er noch stärker ist, führt er schnell zum Tod, einem Zustand, indem wir ohnehin nichts mehr empfinden.
Klingt das logisch? Wir erinnern uns: Epikur ist Lebenskunstphilosoph. Er will nicht mit logischer Brillanz bestechen, sondern uns helfen, glücklich zu sein. Seine Philosophie soll nicht ein paar wenige Hochschulprofessoren vom Hocker reißen, sondern jedem Menschen, unabhängig von seinem Bildungsstand, einen Zugang zum bewussten und freien Leben ermöglichen. Seine unbegründeten Behauptungen sind nichts anderes als philosophische Therapeutika, die gegen schmerzhafte Erlebnisse immunisieren sollen. Wenn es nach Epikur geht, muss die Philosophie – als mentale Medizin – so alltäglich werden wie der Gang zur Toilette: »Wir müssen gleichzeitig lachen, philosophieren, unsere Haushaltspflichten erledigen und unsere anderen Fähigkeiten schulen …«
Aber was ist mit seelischen Schmerzen, psychischem Leid, unseren tausend Ängsten? Egal, ob es sich um die Furcht vor den Göttern, dem Chef oder der Schwiegermutter handelt, das alles sind nichts als Auswüchse irriger Meinungen und Denkfehler, meint Epikur. Sogar der Tod sei nur für den ein Übel, der eine falsche Meinung darüber hat:
»Gewöhne dich an den grundlegenden Gedanken, dass der Tod für uns ein Nichts ist. Denn alles Gute und Schlimme beruht darauf, dass wir es empfinden. Verlust aber dieser Empfindung ist der Tod. …. Der Weise … weicht weder dem Leben aus, noch fürchtet er das Nichtleben. Das Leben ist ihm nicht zuwider, noch hält er das Nichtleben für ein Übel. Wie er bei der Speise nicht die größere Menge, sondern das Wohlschmeckendste vorzieht, so will er sich nicht eines möglichst langen, sondern eines möglichst angenehmen Lebens erfreuen«, schreibt Epikur im Brief an Menoikos.
Er begreift das Sterben weder als Prozess noch als Übergang, sondern als den Augenblick, nach dem, wenn er vergangen ist, nichts mehr ist, was war. Für ihn ist der Tod weder das Gegenteil des Lebens noch das Leben das Gegenteil des Todes. Leben und Tod sind gleichsam zwei vollkommene Ganze, die rein gar nichts miteinander zu tun haben. Entweder Leben – oder Tod. Es gibt kein Dazwischen. Wozu also die ganze Aufregung? Das Leben ist schön, wenn man nur immer die vier Heilmittel (Epikurs Tetrapharmakos ) zur Hand hat:
Vor den Göttern brauchen wir keine Angst zu haben.
Der Tod bedeutet Empfindungslosigkeit.
Das Gute ist leicht zu beschaffen.
Das Schlimme ist leicht zu ertragen.
Über diese Sentenzen soll man Tag und Nacht meditieren und sie auswendig lernen, damit sie in kritischen Situationen ihre Wirkung entfalten können. Damit sie anfangen, in einem lebendig zu werden. Bis der Freude hier und jetzt nichts mehr im Weg steht.
Haltung bewahren: Tapfer leben mit Epiktet
Im Gegensatz zu Epikur haben die Stoiker mit freudvoller Entspannung wenig am Hut. Was sie mit einem schönen Leben verbinden, wirkt zunächst ziemlich abschreckend: Anspannung, Vernunft, Tugendhaftigkeit. Für Zenon von Kition (ca. 333 – 262 v. Chr.), den Begründer der Stoa, war es undenkbar, wie Epikur anzunehmen, dass der Mensch komplett lustgesteuert sei. Er sah den Menschen, ob Sklave oder König, Chef oder Untergebener, Mann oder Frau, als rationales Wesen, dessen Logos Teil der göttlichen Vernunft ist. Ein schönes Leben ist laut Zenon nur möglich, wenn der Mensch seiner Natur gemäß – das heißt vernunftmäßig – agiert. Für Zenon und die Stoiker bedeutet vernünftig sein moralisch handeln, und moralisch handeln Glücklichsein. Punkt. Ein anderes Glück als das Glück, klar zu denken, für andere zu sorgen und sie gerecht zu behandeln, existiert nicht. (Freuden und Lüste gibt es nur als Nebeneffekte guter Taten gratis dazu.) Jede gute Handlung ist nichts anderes als Selbsterhaltung und Selbstbehauptung der menschlichen Natur, jede unmoralische Tat
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