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SCHÖN!

SCHÖN!

Titel: SCHÖN! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebekka Reinhard
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wir in diesem Leben lernen müssen, ist nach Epiktet, uns wieder und wieder zu fragen: Was liegt in meiner Macht – und was nicht? Das klingt trivial, ist aber, wie wir alle wissen, irrsinnig schwer. Denn leider konzentrieren wir edlen Vernunftwesen uns eben mit Vorliebe auf das, was sich unserem Einflussbereich entzieht. Wir versuchen, die anderen zu ändern anstatt uns selbst, sind beleidigt, weil wir ärmer, hässlicher oder kränker sind als andere. Und dann schimpfen wir auch noch über Kollegen, Vorgesetzte, Ärzte und Politiker. Anstatt uns zu fragen, was wir tun können, um dem ein oder anderen Übel den Garaus zu machen. Wäre das Leben nicht viel schöner, wenn wir unseren Hirnapparat zielführender einsetzten? Vielleicht müssten wir dann im entscheidenden Augenblick nicht mehr weinend zusammenzubrechen, sondern könnten endlich die berühmte stoische Gelassenheit an den Tag legen.
    Wenn es uns gelingt, stoische Pflicht und epikureisches Vergnügen auszubalancieren, sind wir ziemlich gute Philosophen. Wenn wir gern tun, was wir tun müssen – aber auch genießen können, was wir nicht tun müssen –, erweisen wir uns zumindest als fähig, der Aufgeregtheit unserer Seele einen klaren Geist zur Seite zu stellen.
    Keiner von uns »kann« leben, nur weil er der Schulzeit entwachsen ist. Niemand beherrscht das schöne, glückliche Leben aus dem Effeff. Wie ein Kunststück will es immer wieder geübt werden, mit Anspannung und Entspannung, Ernst und Heiterkeit. Die innere Festigkeit, die aus geistiger Übung entsteht, hilft, das Beste auch aus schlechten Zeiten zu machen. Aber kann man es auch noch nach schweren Schicksalsschlägen »schön« haben? Oder muss es bei einem Versuch bleiben? → Kapitel 8

 
    »Die ganze Vielfalt, der ganze Reiz,
die ganze Schönheit des Lebens
besteht aus Schatten und Licht.«
    Leo N. Tolstoi
    8 Schönes Leben II:
Warum man Austern essen soll, wenn man krank ist
    Den Bemühungen von Diogenes, Epikur und Co. zum Trotz (s. Kap. 7 ) wird das schöne Leben von einem Großteil der Menschheit mit einem gehobenen Lebensstandard identifiziert. Warum auch nicht? Die Auffassung, dass es zum Glücklichsein nichts weiter bedürfe als eine bestimmte Geisteshaltung, mag edel sein – ob sie auch praktikabel ist, kann durchaus bezweifelt werden. Sogar Aristoteles räumte ein, dass Tugendhaftigkeit, Weisheit und praktische Urteilskraft zwar zu einem gelungenen Leben beitragen, jedoch im Zweifelsfall nicht ausreichen. Wer extrem hässlich oder vereinsamt sei, wer aus ärmlichen Verhältnissen stamme, missratene Kinder habe oder schlechte Freunde, sei zwar immer noch in der Lage, sich am eigenen moralischen Charakter zu erfreuen, schreibt Aristoteles in der Nikomachischen Ethik . Aber ohne ein Minimum an äußeren Gütern könne eben niemand dauerhaft glücklich sein.
    Wir Erben der altgriechischen Kultur sind in der Regel deutlich materialistischer eingestellt als Aristoteles. Die wenigsten von uns geben sich mit dem Minimum zufrieden. Die meisten peilen möglichst zügig das Maximum an. Alles dreht sich mehr oder weniger darum, es geschafft zu haben. Eine eigene Familie, ein eigenes Haus, eine eigene Firma. Hauptsache, es geht schnell. In der von kollektiver Raserei befallenen Beschleunigungsgesellschaft (s. Kap. 2 ) gilt: Zeit ist Geld, und nur wer Geld hat, kann schön leben. Da wir nie genau wissen, wie viel Geld genug Geld ist, gehen wir auf Nummer sicher. Wir geizen mit unserer Zeit, wo immer möglich. Aber wir kön nen noch so viele Stunden, Minuten und Sekunden anspa ren (mittels Tablet-PCs, Smartphones, Langstreckenflügen oder Speeddating), am Ende müssen wir regelmäßig feststellen, dass uns – außer einer Reihe äußerer Güter – nichts geblieben ist. Nichts, was man ein schönes Leben nennen könnte …
    Irgendwann fällt es uns wie Schuppen von den Augen: Zeit ist nicht Geld – Zeit ist Leben. Diese Erkenntnis ereilt uns spätestens dann, wenn wir endgültig begriffen haben, dass wir es nie schaffen werden. Weil da immer etwas ist, das wir noch besser schaffen könnten; weil es immer jemanden gibt, der es besser schafft als wir; weil wir aufgrund eines unvorhersehbaren Problems, einer Krise, eines plötzlichen Schicksalsschlags plötzlich damit aufhören müssen, es schaffen zu wollen. Spätestens dann wird uns klar: Das vollendete Leben gibt es so wenig wie das maximale Glück. Es kann nur immer mehr oder weniger erfolgreiche Versuche geben, schön zu leben.
    Genuss durch

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