SCHÖN!
dagegen Selbstzerstörung, die nur einer kranken Seele entspringen kann. Mehr noch: Moralisches Verhalten ist das einzige Gut, das es in dieser Welt gibt, Unmoral das einzige Übel . Alles andere ist schlichtweg gleichgültig . Mit anderen Worten: Das Einzige, was zählt, ist das, was wir an moralisch Gutem oder Schlechtem in die Welt tragen. Denn nur dies hängt von unserer Vernunft und unserem Willen ab, während wir auf alles andere, Negative wie Positive, mit dem wir in dieser Welt konfrontiert werden, letztlich keinen Einfluss haben. Wann wir geboren werden und wann wir sterben, was aus unseren Kindern wird, ob wir die große Liebe finden oder an Krebs erkranken, ob uns unser bester Freund unterstützt oder fallen lässt, ob wir das große Geld machen oder ob die Inflation unser Vermögen auffrisst – all diese Dinge hängen nicht von uns ab. Denn alles kann allen zustoßen, guten wie schlechten Menschen gleichermaßen. Aus stoischer Sicht ist es völlig sinnlos, Risikomanagement zu betreiben oder großartige Zukunftspläne zu schmieden – das Schicksal kommt doch immer dazwischen. Niemand, weder ein anderer noch wir selbst, sollte deshalb von uns verlangen, mehr als das zu tun, was wir ohnehin tun müssen: vernünftig und gut zu sein.
Aber ist es überhaupt möglich, völlig unabhängig von äußeren Ereignissen, unabhängig auch davon, ob die eigenen guten Taten Früchte tragen oder nicht, glücklich zu sein? Das können wir nur herausfinden, wenn wir uns auf die stoische Therapie einlassen. Wenn wir einfach ausprobieren, ob die stoischen Heilmittel gegen aufreibende Emotionen (und die daraus resultierenden Kurzschlussreaktionen) schützen – und ob sie dafür geeignet sind, auch angesichts von Krisen und Katastrophen »schön« leben zu lernen.
Wie das geht, zeigt Epiktet (ca. 50 – 138 n. Chr.), der einflussreichste Stoiker der Kaiserzeit, dessen Lehren bis in die moderne Psychotherapie nachwirken (s. Gebrauchsanweisung III). Bevor er Philosoph wurde, war Epiktet Sklave in Rom – und somit ein Experte in Sachen Ohnmacht und Fremdbestimmtheit. Laut Epiktet kann jeder immer und überall frei sein, solange er Freiheit nicht dort sucht, wo sie (zumindest dauerhaft) nicht ist: im Außen. Wirklich frei sind wir nur, wenn wir uns darin üben, irrige Wertungen zu vermeiden – nicht ständig als gut oder schlecht einstufen, was tatsächlich gleichgültig ist:
»Nicht die Dinge selbst beunruhigen den Menschen, sondern ihre Meinungen und Urteile über die Dinge. … Wenn wir also auf Hindernisse stoßen, beunruhigt oder gekränkt werden, wollen wir die Schuld nie einem anderen, sondern nur uns selbst geben, das heißt unseren Meinungen und Urteilen«, heißt es im Handbüchlein der Moral, einem Kompendium von Dogmen zum Auswendiglernen.
Der Schlüssel zur inneren Freiheit liegt laut Epiktet in der Kunst des Urteilens. Denn unsere Emotionen sind nie wertfrei. Epiktet verortet die Impulse und Begierden, die uns die letzte Kraft rauben können, sogar innerhalb unseres rationalen Seelenteils. Ein quälender Affekt ist gleichsam durch falsche Bewertung erzeugter, pervertierter Logos . Wir machen uns ja nicht einfach so zum Spaß Sorgen, sondern weil wir meinen, irgendetwas schrecklich Unangenehmes stehe kurz bevor (obwohl die Erfahrung uns längst gezeigt hat, dass das Unangenehme meist nicht ganz so schrecklich ist, wie wir glaubten). Gott sei Dank können wir selbst entscheiden, ob wir den wesentlichen Teil unserer Selbst – die Vernunft – von Angst, Wut, Scham, Neid oder Gier versklaven oder ihn souverän in uns regieren lassen. Wir können jederzeit mit der Umwertung der (falschen) Wertungen beginnen. Indem wir unsere Urteile in einem Dialog mit einem Freund oder mit uns selbst kritisch hinterfragen; und natürlich, indem wir uns darin üben, die Vorgaben aus dem Handbüchlein im Alltag umzusetzen:
»Wenn du einen Krug liebst, so sage dir: ›Es ist ein Krug, den ich liebe.‹ Dann wirst du nämlich nicht deine Fassung verlieren, wenn er zerbricht.«
»Wenn jemand deinen Körper dem ersten besten, der dir begegnet, ausliefern würde, dann wärest du entrüstet. Dass du aber dein Denken jedem Beliebigem auslieferst, so dass es … verstört wird, wenn er dich beleidigt – dessen schämst du dich nicht?«
»Verlange nicht, dass das, was geschieht, so geschieht, wie du es wünschst, sondern wünsche, dass es so geschieht, wie es geschieht, und dein Leben wird heiter dahinströmen.«
Das Wichtigste, was
Weitere Kostenlose Bücher