SCHÖN!
dreißig, können wir einfach nicht glauben, was der Spiegel uns zeigt. Haben wir uns nicht gerade neu verliebt? Haben wir nicht gerade eine neue Ausbildung begonnen? Warum sehen wir dann so alt aus? Irgendwann müssen wir uns eingestehen, dass wir in diesem Leben vielleicht nicht mehr den Ärmelkanal durchschwimmen und kein eigenes Kind mehr bekommen werden. Dass es in dieser hypermodernen High techwelt überhaupt noch so etwas gibt: Endlichkeit, Sterblich keit, Tod – was für ein Anachronismus!
In dieser Welt, die sich einerseits rasend schnell verändert und andererseits jeden Gedanken an die Vergänglichkeit systematisch verdrängt, ist die Angst vor dem Verfall für alle ein Thema – am allermeisten aber für die moderne Frau. Denn es ist Frauensache, den Alterungsprozess – und damit das Schwinden der Schönheit – aufzuhalten. Niemand würde auf die Idee kommen, Keith Richards durch ein Facelifting seiner Authentizität zu berauben (nicht, solange er auf der Bühne herumspringt wie ein Vierzehnjähriger). Die moderne Frau dagegen hat gefälligst bis ins Rentenalter vorzeigbar zu bleiben.
Natürlich ist dies bisher keiner einzigen Frau gelungen. Auf die Fruchtlosigkeit aller Konservierungsversuche weisen auch viele Meisterwerke der Kunstgeschichte hin. Besonders gemein ist Hans Baldung Griens ( 1484 / 85 – 1545 ) Gemälde Die drei Lebensalter und der Tod von 1510 . Darauf sehen wir, wie der Tod eine Sanduhr über das Haupt einer blonden Schönheit hält. Nur um sie daran zu erinnern, dass ihre strahlende Haut bald welk wird, dass ihre knospenden Brüste schon bald dem Gesetz der Schwerkraft unterliegen werden.
Heute muss man keiner Frau mehr mit der Sanduhr drohen, die unendliche Auswahl an Kosmetikprodukten sind ihr Drohung genug. Aber egal, wie viele Peelings sie über sich ergehen lässt, sie kann die Zeit nicht zurückdrehen. Auch wenn ihr Gesicht am Ende glatt und glänzend ist wie eine Skipiste, es ist nie mehr das eines jungen Mädchens.
Die Zeit vergeht, und mit ihr die Jugendlichkeit. Alterungserscheinungen wie Falten, Gewichtszunahme oder erschlaffendes Bindegewebe sind nicht einfach Überbleibsel einer ungesunden, unsportlichen Vergangenheit. Sie sind keine Probleme, die wir tunlichst »bearbeiten« müssten. Sie sind eine Tatsache. Eine ständige Mahnung, nicht zu viel unserer Lebenszeit vor dem Spiegel und auf der Waage zu verplempern. Eine Erinnerung daran, dass wir den Kampf um das gute Aussehen am Ende sowieso verlieren werden. Na und? Schon Platon wusste schließlich: Schön sind nicht nur schöne Mädchen … → Kapitel 2
Abb. 2: Hans Baldung Grien, Die drei Lebensalte r und der Tod, 1510
»Der große Stil entsteht, wenn das Schöne
den Sieg über das Ungeheure davonträgt.«
Friedrich Nietzsche
2 Schön modisch:
Warum Männer Wollmützen tragen und ihre Brust entblößen
Für den menschlichen Körper gilt: Schönheit ist weiblich. Verglichen mit der körperlichen Ausstattung der Tiere eine enorme Anomalie, wie bereits der Evolutionstheoretiker Charles Darwin ( 1809 – 1882 ) in seinem berühmten Werk Die Abstammung des Menschen und die sexuelle Selektion feststellte. Aber gibt es nicht auch schöne Männer? Was ist mit David Beckham? Und stand nicht schon Platon auf hübsche Jünglinge?
Die griechische Mythologie kennt viele schöne männliche Götter und Helden: Apoll, Achill, Hektor oder Odysseus. Deren Schönheit ist allerdings nur ein Anhängsel, das mit moralischen Eigenschaften wie Tapferkeit, Klugheit, Erfindungsreichtum, Gerechtigkeit und Güte konkurriert. Im echten Sinne schön – und ansonsten völlig eigenschaftslos – sind nur zwei: Adonis und Narziss. Beide Götter finden den Tod, bevor sie erwachsen werden: Narziss stirbt, weil er sich von der verführerischen Spiegelung seiner selbst in einem Teich nicht mehr losreißen kann, Adonis erwischt es bei der Begegnung mit einem Eber, der ihn, als er ihn mit den Zähnen liebkosen will, versehentlich tötet. Beide bestechen weniger durch ihre Abenteuer, Kämpfe, Taten und Leidenschaften als durch ihre Erscheinung. Durch jugendliche Körper mit zarter, an den Wangen leicht geröteter Haut und flaumig-lockigem Haar, die denen junger Mädchen ähneln.
Nicht nur die Mythologie, auch die bildende Kunst der Antike (s. Kap. 3 ) lehrt: Männer sind schön, wenn die Männlichkeit nicht voll durchgeschlagen hat – wenn das Testosteron die weiblichen Anteile nicht völlig verdrängt hat. Das wohl legendärste
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