Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
SCHÖN!

SCHÖN!

Titel: SCHÖN! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebekka Reinhard
Vom Netzwerk:
Beispiel unserer Zeit ist David Beckham. Der »metro sexuelle« Superman besticht nicht nur durch die Muskel massen, die er im Laufe vieler Fußballturniere angehäuft hat, sondern vor allem auch durch seine femininen Gesichtszüge. Was wäre David ohne sein Näschen, ohne seinen fein konturierten Amorbogen? Würde ein Attraktivitätsforscher Beckhams Gesicht digital »vermännlichen« und ihm ein kräftigeres Kinn, markantere Wangenknochen und dickere Stirnwülste verleihen, wäre die ganze Anziehungskraft dahin!
    Es bleibt dabei: Schönheit ist weiblich, auch beim Mann. Schöne Männer sind selten – die wenigsten werden als Adonis geboren. Das ist auch gar nicht nötig. Was vom modernen Mann in der Regel erwartet wird, ist nicht natürliche Schönheit. Sondern die Einsicht, dass Sandalen ohne Socken zu tragen und Gürtel unterhalb des Bauchnabels zu schließen sind. Kurz: Ein Mann sollte etwas von Mode verstehen! Zumindest in der Mode herrscht noch so etwas wie ein demokratisches Prinzip: Kein Geschlecht darf sich ihrem Gesetz entziehen. Wie der große Rationalist und Aufklärer Immanuel Kant ( 172 4 – 1804 ) schrieb: »Besser ist es aber doch immer, ein Narr in der Mode als ein Narr außer der Mode zu sein.«
     
    Die Wollmütze: Mode als Massenwahn
    Kant liebte Seidenhemden und Schuhe mit silbernen Schnallen. Doch der Königsberger Philosoph, der die modebewussten Hofleute seiner Zeit »Windbeutel« nannte, war nicht das erste fashion victim . Der Ursprung der Mode als Massenphänomen liegt im Paris der 1670 erJahre, als Ludwig XIV. ( 1638 – 1715 ) die Luxusindustrie erfand. Die große Modeinspiration der Epoche war der Freibeuter Jean Bart, der Dünkirchen gegen die Engländer verteidigt hatte. Damals war es der großzügig interpretierte Marinelook für den Herrn, bestehend aus einem gefiederten Hut, einem sinnlich drapierten Halstuch und einer Taschenuhr, der die Männerwelt in Entzücken versetzte. Heute ist es David Beckham. Aber nicht sein schönes Gesicht macht ihn zum modischen Vorbild – sondern seine Wollmütze.
     
    Abb. 3: David Beckham mit Beanie, 2007
    Seit David auf die merkwürdige Idee kam, mit einer übergroßen Wollmütze – in Fachkreisen auch Beanie genannt – herumzurennen, ist nichts, wie es war. Die männliche Wollmützenbegeisterung ist kaum mehr zu bremsen. Inzwischen ist diese Kopfbedeckung aus keiner Stadt mehr wegzudenken. Löste sie beim Betrachter anfangs noch ein verwundertes Schmunzeln aus, so gehört sie jetzt zum Straßenbild wie der stolze SUV-Fahrer und die gepflegte Seniorin. Ihre Eigentümer sind junge und nicht mehr ganz so junge Männer, die mittels Mütze ihre tatsächliche oder imaginierte Nähe zum Künstlertum zum Ausdruck bringen möchten. Mann trägt sie in den Trendfarben schlammgrau, rattengrau und pfützengrau. Der professionelle Wollmützenbesitzer trennt sich unter keinen Umständen von dem geliebten Accessoire (auch nicht bei dreißig Grad im Schatten) – und beweist damit, dass Mode eine ernste Sache ist.
    Die Wollmütze ist ein gutes Beispiel dafür, worum es heute in der Mode geht. Oberstes Prinzip ist nicht mehr, wie zu Zeiten des Sonnenkönigs, die Eleganz, sondern die Neuheit . Auch heute noch gibt es elegante Kleider, »Klassiker« wie die Ballrobe, den Blazer, den Smoking, den Cut, das kleine Schwarze und dergleichen. Aber Eleganz und Kleidsamkeit sind längst keine Grundvoraussetzung für das Modische mehr. Nach gut dreihundertvierzig Jahren ist die Haute Couture fast ausgestorben. Die Mode ist nicht mehr so erpicht darauf, dem Körper zu schmeicheln, aus einer Frau eine Dame zu machen und aus einem Mann einen Herrn. Ihre Prioritäten sind Veränderung, Wandel, Neuheit. In der Welt der Mode ist das Schöne stets das Neue. Modisch gesehen sind »schön« und »neu« austauschbare Begriffe . Alles kann modisch sein, solange es nur schön neu ist – eine Jeans, ein Smartphone, eine Halskrause, ein Zylinder (ein Phänomen, das auch schon Kant hinlänglich bekannt war).
    In historischer Hinsicht ist der Begriff des Neuen selbst relativ neu: Er stammt aus dem 18 . Jahrhundert, als sich die radikal neue, von der französischen Aufklärung geprägte Moderne über die Traditionen und Kontinuitäten vergangener Epochen hinwegsetzte. Kunst wurde plötzlich mit ganz anderen Augen gesehen. Erst recht im 19 . Jahrhundert, als es für die modernen Künstler und Dichter keine an antiken Vorbildern orientierte »absolute« Schönheit mehr gab, sondern nur

Weitere Kostenlose Bücher