SCHÖN!
das zeitgeistgeprägte relativ Schöne. Für sie hieß Moderne: Erneuerung, Bewegung, Übergang, Bruch mit dem Alten.
Das 19 . Jahrhundert war das erste große Jahrhundert der Mode: Es markierte den Beginn der industriellen Massenproduktion. Seither ist Mode eine Art Religionsersatz geworden. Der Symbolgehalt eines neuen Anzugs ist undefinierbar – aber käuflich. Das Heil, das die Mode von der Stange verspricht, liegt nicht in einem fernen Jenseits, sondern in ihrer sofortigen Verfügbarkeit. Warum lange beten, wenn man sich einen Wunsch doch genau jetzt erfüllen kann: durch den Kauf eines T-Shirts, einer Brille, eines seidenen Schlips? Wie der Philosoph Walter Benjamin ( 1892 – 1940 ) schrieb: »In diesem trockensten, phantasielosesten Jahrhundert flüchtet sich die gesamte Traumenergie einer Gesellschaft … in das undurchdringliche … Nebelreich der Mode.«
Wie sehr Mode und Moderne miteinander verwandt sind, beschrieb der französische Schriftsteller Charles Baudelaire ( 1821 – 1867 ) in seinem Essay Der Maler des modernen Lebens , in dem er über die Kunst seiner Zeit theoretisierte. Deren Schönheit sah er erstens in einem schwer zu bestimmenden Ewigkeitswert und zweitens in ihrer Aktualität: einem »von den Umständen anhängigen Element, das … die Epoche, ihre Mode, ihre Moral, ihre Leidenschaft sein wird. Ohne dieses zweite Element, das wie der unterhaltende, den Gaumen kitzelnde und die Speiselust reizende Überzug des göttlichen Kuchens ist, wäre das erste Element unverdaulich, unbestimmbar, der menschlichen Natur unangepasst und unangemessen.«
Mit Kant und Baudelaire erklärt sich, warum die Wollmütze beim Mann so großen Anklang findet: Sie ist eine unwiderstehliche, weil durch und durch flüchtige Erscheinung. Sie wird nicht als schön empfunden, weil sie (klassisch) schön ist, sondern weil sie neu ist. Oder genauer: weil sie gerade jetzt noch neu ist. Sobald sie nicht mehr neu ist (sobald Sie dieses Buch in den Händen halten), wird sie nur noch ein alter Hut sein. Dann wird etwas anderes an ihre Stelle treten. Der Stetson. Oder der Blumenkranz.
Seit dem 20 . Jahrhundert wird das Neue immer schneller alt. Die Abstände, in denen sich die Mode ändert, werden immer kürzer. Feinripp oder Bundfalte, Gucci oder H&M. Superteuer, supergünstig – Hauptsache neu. Ferner gilt: Im Winter sein Geld für Fake-Fur -Mäntel ausgeben und im Sommer für Badeklamotten – wie langweilig! Wer nicht als völlig antiquiert gelten will, wartet den Saisonwechsel nicht mehr geduldig ab, sondern bedient sich zwischendurch aus der »Cruise-Collection«, einer Sommerkollektion für den Winter. Ideal, wenn man mal eben in die Tropen fliegen will.
Die jeweils neue Mode dient nicht dem Fortschritt, sondern der Abwechslung. Es geht nicht darum, immer praktischere, immer funktionalere Kleidung auf den Markt zu bringen (denken wir an die Wollmütze!). Mode folgt keinem anderen Ziel als ihrer steten Erneuerung. Aber die Kreativität hat ihre Grenzen. Je schneller sich das Modekarussell dreht, desto mehr verdrängt die Wiederholung die Innovation. Gemäß der zirkulären Logik: Man trägt kurz, weil man lang trug, und man trägt lang, weil man kurz trug. Selbst ein Genie wie Karl Lagerfeld präsentiert keine creatio ex nihilo, wenn er zum dreiundachtzigtausendsten Mal ein neues Teil vorführen lässt – sondern nur eine neue Version des Altbekannten.
Der Designer von heute kombiniert Nadelstreifen mit Kimono-Elementen und Zigarettenhosen – und nennt das Ganze dann etwa »Savile Row«. Er spielt mit der Modegeschichte, wie es ihm gefällt. Wenn er Schulterpolster in Herrensakkos einnäht, recycelt er den Zeitgeist aus Dallas und Denver-Clan und weckt nostalgische Erinnerungen in uns – aber nur einen Augenblick lang. Kaum haben wir die erste Staffel Denver geordert, sind Schulterposter schon wieder total obsolet. Der nächste Trend steht vor der Tür.
Stellen wir die philosophische Grundfrage: Was ist der Sinn der Mode? Und warum hat sie auch für den modernen Mann so eine große Bedeutung?
Abgesehen davon, dass Mode Spaß macht, gibt es tausend Gründe, die man gegen sie anführen könnte: Sie ist ebenso schnelllebig wie inhaltsleer (oder gibt es jemanden, der im Ernst glaubt, ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Save the Future« sei ein politisches Statement?). Sie kostet viel Geld, schmeichelt aber nicht unbedingt. Am wenigsten, wenn es um Jeans geht. Das sackartige, in den Kniekehlen hängende
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