Schönbuchrauschen
ihn hervor, schaltete ihn ein und kopierte Blatt um Blatt, was dieser Finanzordner enthielt.
Er hatte sich bis zur Registerkarte »Homebanking« vorgearbeitet und lächelte genüsslich wie einer, der endlich sein Weinglas füllen konnte, nachdem er sich heftig mit dem Entkorken der Flasche hatte abmühen müssen. Homebanking – das war es doch. Keine Überweisung handschriftlich ausfüllen zu müssen, völlig ohne Unterschrift auszukommen, das war die Einladung, auf die er gewartet hatte. Doch da fiel sein Blick auf ein Schreiben der Bank, das einen neuen TAN-Generator betraf. Die lange Liste unbenutzter Transaktionsnummern, die er eben hatte kopieren wollen, nützte ihm gar nichts mehr. Stattdessen, so stand es in dem Schreiben, musste für jeden Vorgang mit diesem kleinen Gerät eine neue Nummer generiert werden. Das würde die Sicherheit erhöhen. Er spürte einen Kloß im Hals und musste erst einmal schlucken. Da er bei seinen beschränkten Verhältnissen bisher auf Homebanking verzichtet hatte, hatte er von einem solchen TAN-Generator noch nie gehört und wusste auch nicht, wie so ein Ding aussah. Aber die Bank verwies auf ihre Homepage. Dort könne man sich informieren. Und das tat er auch. Im Notizbuch fand er das Passwort des PCs und fuhr ihn hoch.
Das Video auf der Homepage der Bank zeigte ihm, wie der TAN-Generator aussah. Jetzt sah er ihn. Das Apparätchen lag direkt vor seiner Nase neben Flipps Schreibzeug. Er hatte es nur nicht erkannt. Selbstironisch grinsend griff er danach und wollte es in die Tasche stecken. Da zog er die Stirn kraus. So etwas hatte er eigentlich nicht mitnehmen wollen. Doch ohne diesen TAN-Generator würde es nicht gehen. Aber wenn der verschwand, mussten auch alle Hinweise auf Homebanking verschwinden. Er nahm alles, was Homebanking betraf, samt der Registerkarte aus dem Ordner und legte es zu den Kopien. Dann kopierte er den Rest.
Diese gleichmäßige Tätigkeit beruhigte ihn. Aber es war inzwischen gegen drei. Und wie immer, wenn er um diese Zeit wach war, bekam er Hunger. Er musste schnell etwas essen. Er fand den Weg in die kleine Küche. Im Kühlschrank stand eine angebrochene Flasche Chablis und eine Packung Räucherlachs, auch diese schon geöffnet. Er streifte die Handschuhe ab, griff nach der Packung und schob sich die Lachsscheiben zusammengedrückt in den Mund. Mit dem Handrücken wischte er sich das Fett von den Lippen. Dann setzte er die Weinflasche an den Hals und nahm einen langen Zug.
Als er die Kühlschranktür schloss, wurde er auf seine Fettfinger aufmerksam. Mit dem Ärmel seines Anoraks versuchte er, ihre Spuren zu verwischen, ehe er ins Bad ging, um sich die Hände zu waschen. Eben wollte er den Wasserhahn aufdrehen, als die Toilettenspülung im Stockwerk über ihm ging. Er hielt inne und rührte sich nicht, bis er meinte gehört zu haben, wie eine Tür geschlossen wurde. Dann drehte er den Hahn nur ein klein wenig auf, wusch sich die Hände, streifte ein neues Paar Latexhandschuhe über und ging an den Schreibtisch zurück. Das gebrauchte verwahrte er in seiner Hosentasche. Jetzt erst, als er sich das zweite Mal an Flipps Schreibtisch setzte, fiel ihm der kleine Silberrahmen mit dem Foto auf, der unmittelbar hinter dem Monitor an der Wand hing: das glamourös gestaltete Schwarzweißporträt einer jungen Frau. Über ihre bloße Schulter lächelte sie dem Betrachter mit einem verführerischen Augenaufschlag zu. Ein ovales Gesicht mit einem energischen Kinn, über den vollen Lippen eine gerade Nase mit zarten Nasenflügeln, weit gestellte Augen, deren Größe mit Wimperntusche und Lidschatten betont war. Ihr dunkelblondes Haar war kurz geschnitten, so dass man ihre großen Ohrringe sah. Nur eine kleine freche Strähne fiel in die Mitte ihrer Stirn. Theo erkannte sie sofort, obwohl sie sich sehr verändert hatte: Judith Schwenk. Aus dem langhaarigen Schulmädchen im Schlamperlook, das nie einen Friseursalon von innen gesehen hatte, war eine höchst attraktive, gepflegte Frau geworden. Theo war unangenehm überrascht, hier ihr Foto zu finden, und fühlte bittere Eifersucht in sich aufsteigen. Länger, als er wollte, blieben seine Augen an dem Foto hängen. Er ärgerte sich über diese Ablenkung, nahm in einer plötzlichen Anwandlung den Rahmen von der Wand und warf ihn in den Papierkorb. Dann kopierte er weiter.
Als er mit den Dokumenten aus dem Finanzordner fertig war, kroch er unter den Schreibtisch zum Telefonanschluss und zog den Stecker heraus. Dann
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