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Schönbuchrauschen

Schönbuchrauschen

Titel: Schönbuchrauschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietrich Weichold
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geradezu um den Schlaf. Und wissen Sie, warum? Weil ich Sie verstehen möchte. Was Sie getan haben, haben Sie gestanden. Das mag einem Gericht vielleicht genügen, mir aber genügt es nicht. Ich möchte Sie verstehen. Ich möchte verstehen, warum eine sympathische, kultivierte junge Frau wie Sie einen ehemaligen Freund ermordet hat, eine junge Frau samt ihrem Kind umbringen lassen wollte und nun vor dem Scherbenhaufen ihres Lebens sitzt. Ich kann das nicht fassen. Ich zweifle an allem, was für mich verlässlich war. Sagen Sie mir, warum Sie das alles getan haben. Geldgier allein war nicht der Grund, das können Sie mir nicht erzählen, das nicht! So wenig, wie Sie wegen irgendwelcher finanzieller Angelegenheiten Lipps Wohnung durchstöbert haben. Bitte sagen Sie es mir, retten Sie mein Weltbild. Sie nützen sich auch selbst damit, obwohl Ihnen das, wie mir scheint, momentan gleichgültig ist.«
    Judith Schwenk hob langsam den Blick und schaute Kupfer ernst in die Augen.
    »Einen Vaterschaftstest«, sagte sie leise.
    »Einen Vaterschaftstest? Um wen ging es dabei? Um Lipp?«
    »Nein. Um Krumm.«
    Kupfer und Feinäugle schauten sie verständnislos an.
    »Weiter?«
    Judith Schwenk schaute eine Weile vor sich hin und atmete mit offenem Mund. Man sah ihr an, dass sie ihre Aussage besondere Kraft kostete.
    »Der Vater von Andrea Lorenz’ Kind war nicht Lipp, sondern Krumm. Andrea Lorenz hat das Kind Lipp untergeschoben, weil er sozusagen der sozial Stärkere war. Geschlafen hatte sie in der fraglichen Zeit mit beiden. So war das halt. Lipp hat die Vaterschaft akzeptiert, weil er jeder Auseinandersetzung wie immer aus dem Weg ging, und hat regelmäßig Alimente bezahlt. Geld spielte bei ihm ja keine Rolle. Andrea hat er gemieden und sich nie um das Kind gekümmert. Bis er es letzten Sommer zufällig gesehen hat. Und da ist es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen. Er erkannte eine gewisse Ähnlichkeit mit Krumm. Da hat er von einem Freund einen Vaterschaftstest machen lassen. Ein ausgetauschter Schnuller von dem Kind und ein Weinglas von Krumm, und schon konnte der Test gemacht werden. Eindeutiger hätte er nicht ausgehen können. Mia Lorenz ist Krumms Tochter. Das war die letzte wichtige Neuigkeit, die Lipp kurz vor seinem Tod erfahren hat. Würden Sie mich bitte jetzt in meine Zelle bringen lassen?«
    Kupfer und Feinäugle verständigten sich mit einem kurzen Blick. Dann nickten sie.
    »Allerdings hätte ich dann noch eine Bitte«, sagte Kupfer und schob Judith Schwenk einen Schreibblock mit Kugelschreiber zu. »Vielleicht fällt es Ihnen leichter, was noch zu sagen bleibt, aufzuschreiben.«
    Sie griff nach dem Schreibzeug, stand sofort auf und sagte leise: »Danke.«
    Kupfer sah ihr nach, wie sie von einer Polizistin aus dem Raum geführt wurde, und hatte den Eindruck, sie bewege sich ein klein wenig unbeschwerter und freier als zuvor.

5
    Ich will mich nicht rechtfertigen. Darum geht es nicht. Ich kann mich höchstens verständlich machen, wobei vielleicht nicht einmal das möglich ist. Wenn ich trotzdem etwas aufschreibe, dann tue ich es für mich, um mir klar zu werden, warum alles so gekommen ist
.
    Im Nachhinein bin ich froh, dass dem Kind und seiner Mutter nichts passiert ist. Ich muss außer mir gewesen sein, als ich zu Bernd ging und ihm Geld anbot. Aber es war einfach zu viel für mich gewesen, den Beweis dafür in der Hand zu halten, dass Krumm der Vater des Kindes war, für das Ferdinand leichtfertig Unterhalt gezahlt hatte. Und der Gedanke, dass seine Mutter überdies für das Kind nun Ansprüche stellen könnte, hat mich mit einer unbändigen Wut erfüllt. Das Vermögen, das ich für Ferdinand und mich erworben hatte, durfte einfach nicht mit einem untergeschobenen Kind geteilt werden. Ich wollte nicht gezwungen werden, alle unsere Gewinne offenlegen zu müssen, um dann mit einer Betrügerin um mein eigenes Vermögen zu feilschen. Auf diesem Weg wäre mir Krumm sogar noch nach seinem Tod in die Quere gekommen und hätte ein zweites Mal meine Träume zerstört. Dass sie aus Angst vor einem Vaterschaftstest keine Ansprüche stellen würde, hielt ich für ausgeschlossen
.
    Ich hasste Krumm und hasse ihn immer noch. Mein Jugendtraum war eine heile Familie mit Kindern gewesen, ein Familienleben, das völlig anders hätte sein sollen als das, was ich als Kind durchleben musste. Ich wollte einen Beruf, aber auch einen Mann und Kinder. Aber dieser Traum platzte, als Krumm bei mir angekrochen kam. Wir hatten uns

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